Neue Bedeutungen für die Bezeichnungen ‚Hutu‘ und ‚Tutsi‘ während der deutschen und belgischen Kolonialzeit

Schon seit Beginn der deutschen Kolonialmacht (1899) übten die deutschen Vertreter eine indirekte Herrschaft aus, da den Einheimischen zu jeder Zeit gewisse Machtpositionen eingeräumt wurden. Trotz indirekter Herrschaft muss sie sich mit ihrer Einteilung in eine Rassenordnung für die Grundsteinlegung der ethnischen Konflikte verantworten. Die zu deutschen Kolonialzeiten gestellten Weichen verhärteten sich irreversibel in der belgischen Kolonialzeit und führten 1994 letztendlich zu einem massenhaften, ethnisch begründeten Töten.

Schon seit Beginn der deutschen Kolonialmacht (1899) übten die deutschen Vertreter eine indirekte Herrschaft aus, da den Einheimischen zu jeder Zeit gewisse Machtpositionen eingeräumt wurden. Trotz indirekter Herrschaft muss sie sich mit ihrer Einteilung in eine Rassenordnung für die Grundsteinlegung der ethnischen Konflikte verantworten. Die zu deutschen Kolonialzeiten gestellten Weichen verhärteten sich irreversibel in der belgischen Kolonialzeit und führten 1994 letztendlich zu einem massenhaften, ethnisch begründeten Töten.

Die Deutschen führten eine ethnische Bedeutung in die Begriffe 'Hutu' und 'Tutsi' ein. Man wollte sich jeglichen Aufwand oder größere Probleme sparen und schnell ein gut funktionierendes Herrschaftssystem aufbauen. Durch Grenzziehungen, Einführung der Steuer und die Erstellung von Landkarten rechtfertigten die Kolonialherren die Trennung in kulturell und sprachlich unterschiedliche Stämme (vgl. Hoerding, 1997: 25).

Um die Ruander in klar voneinander trennbare Rassen (Stämme) einteilen zu können, gebrauchten die Kolonialherren ihr Hintergrundwissen der Rassentheorie. Von nun an wurden die Einheimischen nach ihrem Äußeren in zwei Rassen eingeteilt: 'Hutu' und 'Tutsi' (Die Twa blieben bei dieser Einteilung außen vor, da sie mit ihrer geringen Bevölkerungsanzahl nicht ins Gewicht fielen). Neben dem Aussehen war auch der Stand des Jeweiligen entscheidend für die neue Einteilung in Rassen. Ein Mann, der einmal als 'Hutu' eingestuft worden war, blieb für sein ganzes Leben 'Hutu'. So wurden auch Säuglinge sofort nach der Geburt in eine der beiden Rassen eingestuft. Dabei war die Rassenzugehörigkeit der Eltern ausschlaggebend. Die ursprünglich flexible Handhabung beider Begriffe ging, wie hier deutlich wird, total verloren: „Allein die Abstammung entschied jetzt darüber, ob jemand ein 'Tutsi' (…) oder 'Hutu' war.“ (Hoering,1997:20). Deutlich wird: die ethnische Definition beider Bezeichnungen ist erst in der Kolonialzeit geschaffen und später ausgebaut worden. Denn von nun an war man davon überzeugt, dass die Menschen in Ruanda ungleich geboren wurden: Die einen um zu regieren, die anderen um regiert zu werden. Ohne Ausnahme sahen die Kolonialmächte diese Behauptungen als absolut an.

Bei den Einordnungen in zwei Ethnien verstand man die Hutu als untergebene Rasse, die alles mit Gleichmut ertrug. Ihnen wurde seitens der Europäer ein unterwürfiger Charakter zugesprochen. Das Wort 'Hutu' setzten sie mit 'Diener' gleich (vgl. Melvern, 2000: Kap.2: 8). Im Vergleich zu den Tutsi seien die Hutu kleiner und gröber, unfeiner gebaut. Als charakteristisch hervorstechend seien die schwulstigen, dicken Lippen der Hutu. Für die Europäer waren sie das Ebenbild eines typischen „Negers“. Ihnen wurde des Weiteren eine „Intelligenzlücke“ nachgesagt. Die Deutschen waren davon überzeugt, klar physiologische und auch psychologische Unterschiede zwischen den 'Hutu' und 'Tutsi' erkennen zu können. Hingegen zu den Hutu wurde den Tutsi ein nach westlichen Vorstellungen wesentlich schöneres Erscheinungsbild nachgesagt: Schlank, wohlgeformt und zierlich wurden sie in alten Berichten beschrieben. Sie erhielten den Beinamen: „die, die geboren wurden, um zu regieren“ (vgl. Semujanga, 2003: 114 f). Semujanga fasst diese Phänomen sehr gut zusammen, indem er erkennt, dass der Tutsi für die Europäer ein „schwarzer Europäer“ war, dem die typischen Eigenschaften: Intelligenz, Fleiß und Schönheit nachgesagt wurden:

[quote]„The Tutsi are very tall people, with a straight nose, intelligent, of Hamitic type, cattle herders, gifted for command. Hutu are short people, with a flat nose, less intelligent, less cunning, farmers of Negroid type, ungifted for command, servile; Twa are very short people, hunters, potters, of Pygamy type, thoughtless buffoons.“ (Semujanga, 2003: 116). [/quote]

Angenommen wurde, das die Tutsi eigentlich ein Hamitenvolk (und damit in Wirklichkeit „schwarze Europäer“) seien, so dass sich die die Deutschen dazu verpflichtet sahen, deren Macht zu stützen und weiter auszubauen. Dem „dummen“ (aber mit einem wesentlich höheren Einwohneranteil) Volk sollte keinerlei Herrschaft zugesprochen werden. Dies bezeichnete man – so grotesk es auch klingen mag – als logische, selbstverständliche Schlussfolgerung der historischen Fakten, nicht als Bevorzugung einer Bevölkerungsschicht.

Manche Wissenschaftler waren sogar von einem ethnischen Nullpunkt überzeugt. So gingen sie davon aus, dass ursprünglich drei voneinander äußerlich klar trennbare Rassen existierten. Allein durch die Folge vom Genaustausch in Form von Mischehen seien diese deutlichen Merkmale in der Kolonialzeit etwas schwieriger zu erkennen. Hingegen aber bei Feldarbeitern, die fern ab der großen Städte lebten und daher wenig Einfluss auf die Rassenmischung (bzw. die Mischung der Gene) ausüben konnten, meinte man die rassischen Eigenschaften ohne Probleme nachvollziehen zu können (vgl. Semujanga, 2003: 103).

Um diese Theorien zu bestätigen wurden biologische Messungen vorgenommen, die sich stark denen der späteren Nürnberger Gesetze (1935) des deutschen Dritten Reiches ähnelten. Die Ergebnisse der Messungen von Kopf, Nase und Körpergröße sollten auch gleichzeitig Aufschlüsse über deren Intelligenzquotienten geben: „biologische Unterschiede wurden intellektuellen und charakterlichen Merkmalen zugeordnet.“ (Hoering, 1997: 11).

Obwohl sich heute in Berichten nachlesen lässt, dass diese physiologischen und psychologischen Unterschiede sehr schwer nachvollziehbar und daher oft willkürlich waren, ließen die Kolonialherren es sich nicht nehmen, jeden zu untersuchen um anschließend eine klare Entscheidung über dessen Ethnie zu treffen. Diese Messungen, wie Diamond beschreibt, konnten gar nicht wahrheitsgetreue Aussagen treffen:

[quote] „…many individuals are impossible to assign to either of the two groups based on apperance. About one-quarter of all Rwandans have both Hutu and Tutsi among their great-grandparents“ (Diamond, 2005: 318). [/quote]

Doch auch Blutuntersuchungen sollten Aufschluss über die inneren Werte der beiden „Rassen“ geben. Man meinte in Blutwerten erkennen zu können, dass die Tutsi ursprünglich aus einer malariafreien Umgebung stammten und dies ein klares Indiz für deren Rasse sei. Ähnliches sollte die vermehrte Anzahl von Milchzucker, die man in dem Blut der Tutsi meinte gefunden zu haben, beweisen (vgl. Mamdani, 2001: 45).

Jedoch schrieben die deutschen Kolonialherren die Ethnien der Ruander nirgendwo offiziell fest; erst die Belgier entwarfen für die gesamte Bevölkerung Personalausweise, in denen die „Ethnie“ festgehalten wurde. Wie hier deutlich wird, haben die Kolonialherren beide Ethnien überhaupt erst definiert und körperlich und geistige Merkmale für sie erfunden. Künstlich konstruierten sie zwei Ethnien innerhalb eines Landes, welches bis dato nur eine Geschichte und Sprache hatte. Dies hatte, schwere, irreversible Folgen.

Heute gehen sogar manche Anthropologen und Soziologen davon aus, dass die Bezeichnungen 'Hutu' und 'Tutsi' nur eine Erfindung der Kolonialherrschaft waren. Diese Behauptung trifft auf Ablehnung, wie im gleichen Maße auch auf Zustimmung. Diejenigen, die nicht mit dieser Meinung übereinstimmen, verweisen auf altes Quellenmaterial. Dort sind alte Mythen schriftlich festgehalten, in denen schon vor Hunderten von Jahren die Begriffe 'Hutu' und 'Tutsi' genannt werden. Forscher, die hingegen mit dieser These übereinstimmen, betonen, dass die Begriffe erst seit der Kolonialzeit diese rassistischen Bedeutungen bekamen. Sicher ist, dass vor der Eroberung Ruandas keinerlei ethnische Diskussion geführt wurde (vgl. Semujanga, 2003: 101 f). Zwar kann man mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass die Begriffe `Hutu` und ’Tutsi’ schon vor der Kolonialzeit im Vokabular der Sprache Kinyarwanda vorhanden waren, jedoch hatten sie mit Sicherheit keine wertende Funktion.

 

 

Quellen

Baratta, Mario von (2001): Der Fischer Weltalmanach 2002. Zahlen. Daten.  Fakten. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

Berkeley, Bill (2001): The Graves are not yet Full. New York: Basic Books.

Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) (1999): Afrika 1 Zeitschrift 264. Bonn: Schwann Bagel GmbH & Co KG.

Diamond, Jared (2005): Collapse. London: penguin group.

Die Bibel – Die heilige Schrift. Altes und neues Testament. Nach einer Übersetzung von Luther.

Gleichmann, Peter; Kühne, Thomas (Hrsg.) (2004): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen: Klartext Verlag.

Harding, Leonhard (1998): Ruanda – der Weg zum Völkermord. Vorgeschichte – Verlauf –Deutung. Hamburg: Lit. Verlag.

Hoering, Uwe (1997): Zum Beispiel Hutu & Tutsi. Der Völkermord hätte verhindert werden können, befand ein UN-Bericht. Göttingen: Süd-Nord-Lamuv.

Kimenyi, Alexandre (1978): A Relational Grammar of Kinyarwanda. Volume 91. London: University of California Press.

Kimenyi, Alexandre (2002): A Tonal Grammar of Konyarwanda – an Autosegmental and  Metrical Analysis. Volume 9. New York: The Edwin Mellen Press.

Mamdani, Mahmood (2001): When Victims Become Killers. Colonialism, Nativism, and the Genocide in Rwanda. Princeton, New York: Princeton University Press.

Melvern, Linda (2000): A People Betrayed. The Role of the West in Rwanda's Genocide. London, New York: Zed Books.

Newbury, Catharine (1988): The Cohesion of Oppression. Clientship and Ethnicity in Rwanda 1860– 1960. New York: Columbia University Press.

Scholl-Latour, Peter (2001): Afrikanische Totenklage. München: Bertelsmann Verlag.

Semujanga, Josias (2003): The Origins of Rwandan Genocide. New York: Humanity Books.

Wikipedia, Ethnie: 05.10.2006, 12:35 Uhr., http://de.wikipedia.org/wiki/Ethnie

Wikipedia, Rasse: 05.10.2006, 12:40 Uhr. http://de.wikipedia.org/wiki/Rasse

Wikipedia, Ruanda: 05.10.2006, 15:40 Uhr.   http://de.wikipedia.org/wiki/Ruanda

 

3 thoughts on “Neue Bedeutungen für die Bezeichnungen ‚Hutu‘ und ‚Tutsi‘ während der deutschen und belgischen Kolonialzeit

  1. Hutu und Tutsi waren ursprünglich Bezeichnungen für den Stand
    In einem Buch, dass ich derzeit leider nicht zur Hand habe und sich mit Ruanda befasste, wurden die Begriffe Hutu und Tutsi als Ständebezeichnungen erläutert. Etwa wie Arbeiter und Angestellter. Tutsi bedeutete nach dieser Erläuterung „der mehr als zehn Kühe besitzt“.

    Ich weiß leider weder die Quelle noch ob das richtig ist.

      1. Hallo Prometoys, vielen Dank
        Hallo Prometoys, vielen Dank für Deinen kurzen Beitrag. Du hast vollkommen recht, Hutu wurde als „der, der kein Vieh hat“ und Tutsi als „der, der Vieh besaß “ ursprünglich bezeichnet. Ich kann die Lektüre nochmal genau nachsehen, wenn es Dich interessiert.
        Viele Grüße, Johanna Richter

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