Auswirkungen der Maquiladora-Industrie in Mexiko

Maquiladoras sind Montagebetriebe in freien Produktionszonen in Mexiko, die das Halbfertige zu dreiviertel- oder ganzfertigem für den Export zusammensetzen. Durch Initiativen der mexikanischen Regierung konnten zahlreiche Jobs in der Maquiladora-Industrie geschaffen werden. Hierbei handelt es sich in der Regel um einfache Arbeiten, die oft unter prekären Arbeitsbedingungen abgeleistet werden müssen. Aufgrund des starken Ressourcenverbrauchs hat die Maquiladora-Industrie zudem negative Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Weiterhin erscheint das Modell nicht zuletzt aufgrund der einseitigen Exportabhängigkeit der Betriebe von den USA kaum bestandsfähig.

Seit den späten 1930er Jahren wandte Mexiko ein Handelssystem basierend auf dem Import-Substitution-Industrialization-Modell (ISI) an. Dies wurde als der beste Weg die mexikanische Wirtschaft aufzubauen und die Abhängigkeit von importierten Produkten zu verringern, propagiert. Das ISI-System basierte unter anderem auf der Idee die heimische Produktion und Wirtschaft durch protektionistische Maßnahmen, wie zum Beispiel Einfuhrzölle, zu schützen. Die ersten Maquiladoraprogramme wurden in den 1960er Jahren von der mexikanischen Regierung angeregt. Es war eine radikale Kehrtwende vom ISI-Modell. Das neue Wirtschaftsprogramm erlaubte ausländischen Firmen nun entlang der amerikanisch-mexikanischen Grenze fast steuerfrei zu produzieren und zollfrei Handel mit den USA zu treiben. Die Maquiladora-Initiative wurde in dieser Zeit jedoch noch nicht als ein alternatives Modell zur Industrialisierung gesehen, sondern vielmehr als eine Politik der Migration und Arbeitsbeschaffung.

Das erste Maquiladora-Programm, das Border Industrialization Program (BIP) wurde 1965 unter der Regierung von Präsident Gustavo Diaz Ordaz gegründet. Die Ziele des Programms waren vielseitig. Zum einen sollte es die Wirtschaft der Grenzstaaten im nördlichen Mexiko stimulieren und zur Entlastung des riesigen Ballungsraumes Mexiko City beitragen. Dies sollte ferner zu einem Anstieg des Lebensstandards der Menschen im nördlichen Mexiko führen sowie den mexikanischen Markt im inneren Teil des Landes aufbauen. Zum anderen bestand das Ziel des Programms darin, eine Arbeitsmöglichkeit für Tausende von arbeitslosen mexikanischen Arbeitern zu schaffen, die aus den USA zurückkehrten, nachdem das Bracero-Programm 1964 scheiterte. Das Bracero-Programm wurde während des 2. Weltkrieges von der amerikanischen Regierung gegründet, um mexikanischen Bauern eine Perspektive zu geben. Als diese dann in ihr Heimatland zurückkehrten, siedelten sie oft in der Grenzregion. Hier wurde zollfreie Produktionszonen eingerichtet. Die Einrichtung dieser Zonen lockte zahlreiche ausländische Investoren an. Maquiladoras entstanden hier ferner aufgrund der Exportausrichtung der Industrie grenznah zu den USA.

Durch das Wachstum der Maquiladoras hat sich die Grenzregion von einer wirtschaftlichen Einöde zur dynamischsten Wirtschaftszone Mexikos entwickelt. Seitdem ist die Arbeitslosigkeit kontinuierlich gesunken und das Wirtschaftswachstum rund doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Trotzdem genießen die Maquiladoras keinen guten Ruf. Niedrige Löhne, mangelnde Sicherheit, schlechte Arbeitsbedingungen, Verbot von Gewerkschaften und ständige Angst vor Entlassung machen die Fabrikanlagen zu einem sehr instabilen und teilweise gefährlichen Arbeitsumfeld. Daneben wirkt sich die Umweltverschmutzung und der starke Ressourcenverbrauch, insbesondere der Wasserverbrauch, auf die Lebensverhältnisse der Bevölkerung aus.

Im Jahre 1980 befanden sich  620 Maquiladoras entlang der Grenze zu den USA. 120.000 Menschen waren dort beschäftigt. 1986 trat Mexiko dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) bei. Diese Veränderungen führten auch in anderen Teilen des Landes zu einer Etablierung von Maquiladoras. 1990 wurden mehr als 400.000 Menschen in 1500 Maquiladoras beschäftigt. Die Maquiladora-Industrie dominiert jetzt ebenfalls den Textil- und Manufaktursektor. Auch auf die Verteilung der industriellen Wertschöpfung Mexikos hatte die Entwicklung Auswirkungen. Während der Anwendung des ISI-Modells waren ca. 40% der industriellen Produktion in Mexiko City konzentriert. 1990 bestimmte die Maquiladora-Industrie immerhin 25% der Produktion Mexikos und war vornehmlich im Norden Mexikos angesiedelt. Den größten Einfluss auf das Maquiladora-Programm hatte folgend die Unterzeichnung der NAFTA (North American Free Trade Agreement) 1994. Dies führte zu einem weiteren Anwachsen der Anzahl von Fabriken und Beschäftigten.

Die Stadt Juárez kann als ein Paradebeispiel für die Auswirkungen der Maquiladora-Industrie gelten. Der Zustrom von Arbeitern bewirkte in der Cuidad Juárez einen immensen Bevölkerungszustrom. In weniger als 40 Jahren schwoll die Stadtbevölkerung von 200.000 im Jahre 1965 auf nahezu zwei Millionen im Jahr 2005 an. Innerhalb von fünf Jahrzehnten wächst die Stadt von einer unbedeutenden Grenzstadt zur fünftgrößten Stadt Mexikos. Dort werden mittlerweile 1,6% des gesamten Bruttoinlandsprodukts Mexikos erwirtschaftet, befinden sich 15% aller mexikanischen Maquiladora-Betriebe und arbeiten knapp ein Drittel aller Maquiladorabeschäftigten. Ende der 90er Jahre entstehen jährlich rund 30.000 neue Arbeitsplätze. Im Jahr 2000 befinden sich in Juárez 312 Maquiladoras mit 265.000 beschäftigten Arbeitern. Die Ciudad Juárez steht in Mexiko an erster Stelle der Beschäftigten in Maquiladoras.

Das Maquiladora-Programm hat sich von einem regionalen Entwicklungskonzept zu einem nationalen Modell entwickelt. Anstatt nur den Beschäftigungszuwachs und die industrielle Entwicklung an der nördlichen Grenze anzukurbeln, dominiert es nun die industrielle Entwicklung ganz Mexikos. Das Maquiladora-Programm führte zu Wachstum und der Schaffung vieler Arbeitsplätze. Kann man das Programm demnach als erfolgreich bezeichnen?

Es ist richtig. Einige der gestellten Ziele sind verwirklicht worden. Die industrielle Produktion an der nördlichen mexikanischen Grenze wurde angeregt und entwickelte sich. Das ursprüngliche Ziel, Männer, die am Bracero-Programm mit den USA teilgenommen hatten, zu beschäftigen, schlug jedoch fehl. Im Endeffekt wurden und werden vor allem Frauen in den Maquiladoras beschäftigt. Die Zahl der weiblichen Fabrikarbeiterinnen stieg bis zum Jahr 1980 sogar auf 80%. Probleme im Zusammenhang mit der Maquiladora-Industrie ergeben sich insbesondere mit dem enormen Anstieg der Bevölkerungszahl in den Grenzstädten zu den USA. Die meisten davon in Wüstengegenden mit sehr limitierten Wasserressourcen.

Das exponentielle Wachstum der Bevölkerung führt zudem zu einer Überlastung der lokalen Infrastruktur. Diese kann nicht in dem Tempo angepasst werden, wie dies im Hinblick auf den Bevölkerungsanstieg notwendig wäre. Verlotterte Siedlungen mit mangelnder Strom- und Trinkwasserversorgung im Umkreis der Städte sind eine Konsequenz des „Erfolgs“ der Maquiladora-Industrie. Hier wohnen die Beschäftigten der Fabriken. Überraschend ist, dass die Mehrzahl der Migranten Gegenden in Mexiko verlassen haben, in denen sie abgesehen von  einer Beschäftigung, bessere Lebensbedingungen hatten. In Juárez besitzen sie zum Beispiel außer einer Arbeit meist nichts. Als ein Modell, anspruchslose Jobs zu schaffen, ist das Maquiladora-Programm zwar als erfolgreich anzusehen. Dennoch, das Programm und die Auswirkungen haben die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bevölkerung nicht verbessert, sondern in vielerlei Hinsicht in der Tat verschlechtert. Trotzdem, die Maquiladoras sind auch weiterhin ein Anziehungspunkt für mexikanische Arbeitssuchende. Sie haben oft keine andere Wahl, als hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Im Hinblick auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung muss die Verbreitung der Maquiladora-Industrie mit ihrem großen Ressourcenverbrauch und häufig verbundenen Umweltverschmutzungen ebenfalls sehr kritisch betrachtet werden.

Ein weiteres Problem für die Maquiladora-Industrie an sich offenbarte sich in den vergangenen Jahren. Die mexikanische Wirtschaft und der Maquiladora-Sektor im speziellen sind aufgrund einer einseitigen Exportausrichtung vom amerikanischen Markt abhängig. So war es auch keine Überraschung, als die amerikanische Wirtschaftskrise im Jahr 2000 einen starken Einfluss auf die mexikanische Wirtschaft ausübte. Manche Analytiker sprachen in dieser Zeit von einem Zusammenbruch des Maquiladora-Sektors. Diese Krise verzeichnet bis Mitte des Jahres 2003 142 Maquilas, 45% der Fabriken (!) die ihre Tore schließen mussten.

 

Quellen und Verweise 

Alscher, Stefan (2001): Märkte, Migration, Maquiladoras: Auswirkungen des Freihandels auf Migrationsprozesse aus regionaler Perspektive (Tijuana/San Diego),Berlin.

Klagsbrunn, Viktor (Hg.) (1986): Lehrforschungsprojekt Mexiko: Veränderungen der  Sozialstruktur und Migration in Mexiko, Berlin 

Martínez, Oscar (1996): U.S.- Mexico Borderlands: Historical and Contemporary Perspectives, Washington.

Sklair, Leslie (1993): Assembling for Development: The maquila industry in Mexico and the United States, San Diego. 

Fischer, Karin; Novy, Andreas; Parnreiter, Cristof (Abruf 30. März 2006): Globalisierung und Peripherie. Umstrukturierung in Lateinamerika, Afrika und Asien. Frankfurt am Main: Brandes und Apsel, Wien: Südwind 1999 (Historische Sozialkunde 14). URL: http://vgs.univie.ac.at/VGS_alt/HSK14.html

Witerich, Christa (Abruf 30. März 2006): Gender matters. Zur Vergeschlechtlichung von Arbeit auf globalisierten Märkten. Aus: Werkstattgespräch, Berlin 21./22.Januar 2000, Karl Dietz Verlag Berlin (gekürzt). Verantwortlich für das Zitat: Heidi Ambrosch. URL: www.kpoe.at/progdisk/forum/59.html