Kuba: Im Nabel der Revolution in Santa Clara

Einige Wochen sind vergangen, seit ich in meinem Studienort Santa Clara angekommen bin. Diese erste Zeit war durchzogen von frustrierenden und nervigen Erlebnissen und einigen kleinen Lichtblicken. So ziemlich alles, was an Warnungen in meinem studentischen Kuba-Führer stand, hat sich bewahrheitet.

Einige Wochen sind vergangen, seit ich in meinem Studienort Santa Clara angekommen bin. Diese erste Zeit war durchzogen von frustrierenden und nervigen Erlebnissen und einigen kleinen Lichtblicken. So ziemlich alles, was an Warnungen in meinem studentischen Kuba-Führer stand, hat sich bewahrheitet.

Ein Nachtrag zu Bogotá: Als Einführung zu meiner Reise habe ich Ché Guevaras „Motorcycle Diaries“, also seine Reisetagebücher, gelesen. Mit seinem Freund Alberto besuchte Ché im Sommer 1952 die Haupstadt Kolumbiens und schrieb dazu Folgendes (ich las die englische Version):

[quote] „There is more repression of individual freedom here than in any other country we’ve been to, the police patrol the streets carrying rifles and demand your papers every few minutes, which some of them read upside down.“ [/quote]

Ein ähnliches Bild hatte ich in meiner letzten Mail auch geschildert und ich war erstaunt zu lesen, dass dieser Zustand offensichtlich schon über 50 Jahre fortbesteht. Nachdem ich im Kuba des 21. Jahrhunderts angekommen bin, könnte ich mir aber durchaus vorstellen, dass dieses Land mittlerweile den Spitzenplatz einnimmt, was die Unterdrückung seiner Bewohner angeht.

Santa Clara: Die Hauptstadt der Provinz Villa Clara liegt ziemlich zentral, wenn man Kuba als Ganzes betrachtet. Die Stadt hat etwa 200.000 Einwohner und die zweitgrößte Universität der Insel befindet sich hier. Bekannt geworden durch die entscheidende Schlacht Chés, der hier im Dezember 1958 im Zuge der kubanischen Revolution einen Eisenbahnzug beladen mit Waffen zum Entgleisen brachte, zeugen diverse Mahnmale und Museen von seinen heroischen Taten. Sonst allerdings gibt es nicht viel zu sehen. Von den modernen deutschen Wagen, von denen ich noch am Flughafen von La Habana berichtete, findet man hier keinen mehr. Die Stadt ist für Touristen uninteressant, es gibt weder Strand noch gute Restaurants, auch an historischen Bauten mangelt es. Insgesamt ist sie aber umso besser geeignet um sich ein Bild vom realen kubanischen Alltag zu machen.

Meine Unterkunft: Ich habe ein eigenes Apartment auf dem Dach des Hauses. Klein aber fein. Warmes Wasser gibt es auch hier nicht, geduscht und gespült wird mit Hilfe eines Eimers. Da sich die Universität leider recht weit außerhalb der Stadt befindet, habe ich zwar nervig lange, heiße und unbequeme Anfahrtswege, die mir einen guten Teil meines Tages rauben (2.5 – 3 Stunden für eine Strecke von zweimal 7km), komme aber um den Genuss des hiesigen Studentenwohnheims herum. Mehr dazu später. Für viele Familien ist so ein ausländischer Untermieter eine sehr willkommene Einnahmequelle, allerdings ist die Vermietung von Zimmern ohne staatliche Genehmigung illegal und mit hohen Strafen belegt. Nur Personen von gutem gesellschaftlichem Stand können sich dieses Vergnügen ohne Parteigenehmigung leisten. Für eine staatliche Unterkunft bezahlt man mehr als für ein Zimmer in Berlin.

Im Folgenden die Herausforderungen, die ich während meinen ersten Wochen Kuba als größten Kraftakt empfunden habe.

Lektion 1:Warten!

Ich habe noch nie so viel Zeit mit Warten verbracht wie hier! Man muss überall warten und immerzu. Am Bus, in der Bank, im „Supermarkt“, beim Essen, bei Gesprächen mit Profs oder Verwaltungsangestellten. Eine Herausforderung für meine Geduld. Fast pathetisch wird dennoch überall gefragt: „El Ultimo?“ (der letzte?) um sich seinen genauen Platz in der Schlange für alle ersichtlich zu sichern. Das ist besonders dann lächerlich, wenn schon 150 Mann vor einem an der Bushaltestelle stehen und auf einen fahrbaren Untersatz warten. Kommt der Bus dann angerollt, kommen sonst schon vergessene Urinstinkte zum Vorschein und die kräftigsten und größten Jungs drängeln sich nach vorne durch. Gern wird auch gebissen, geschubst, getreten oder anderweitig nachgeholfen. Hauptsache man ergattert einen der begehrten Sitzplätze.

Im Büro für Internationale Beziehungen habe ich meinen Studentenausweis beantragt. Gleich am ersten Montag schickte mich die Frau über den kompletten Campus, damit ich mir alle Dokumente, Photos etc. besorgen könnte um den Ausweis Dienstag in die Bearbeitung geben zu können. Nachdem ich Alles besorgt hatte, stellte sich Dienstag heraus, dass auf einem Formular die Namen und Angaben meiner Eltern fehlten. Das Ausfüllen exakt dieses Formulars ist allerdings das Einzige, was die gute Frau den lieben langen Tag lang macht. Der weiterführende Bearbeiter ist nur montags und dienstags in der Uni, damit müsse die restliche Bearbeitung bis nächste Woche warten. Auch nach 6 Wochen habe ich noch keinen Studentenausweis.

Lektion 2: Regeln akzeptieren!

Im eben erwähnten Büro fragte die Frau wiederholt eindringlich nach meinem Aufenthaltsort. Mit der Antwort, dass ich bei einer befreundeten Familie in der Stadt wohnen würde, gab sie sich nicht zufrieden. Laut des Abkommens unserer Universitäten wäre ich verpflichtet im Uni-Wohnheim zu schlafen, das wäre immerhin auch umsonst. Gut, denke ich, dann werde ich mich offiziell dort anmelden, vielleicht tut sich ja damit auch eine zweite Schlafgelegenheit auf dem Campus auf. Mit einem blöden Schreiben warte ich darauf, dass die Assistentin eines Profs von der Mittagspause wiederkommt, um mit ihr einige Kursdetails zu besprechen. Als ich vom Warten die Nase voll habe und zur nächsten Person im Wohnheim gehe, ist diese bereits nach Hause gegangen. Am letzten Tag der ersten Woche ist es dann soweit, ich bekomme meinen Schlüssel für ein 10-Mann Zimmer im Studentenwohnheim. Derzeit sei ich wohl der Einzige im „Zimmer für Westeuropäer“, die beiden Franzosen, die bis vor Kurzem noch hier wohnten, haben die Flucht ergriffen. Die Frau zeigt mich durch das Zimmer. Doppelstockbetten, wie man sie aus dem Kinderferienlager kennt, mit Presspappe als Unterlage. Schränke gibt es nicht, dafür aber ein „eigenes“ Bad (meint: nicht das Gruppenklo im Flur). Die Frau, ihr Name ist Julia, wiederholt ständig, dass die Umstände hier nicht die besten seien, man gebe aber, was man könne. Und immerhin sei ja alles umsonst. Im Bad angekommen, begrüßen mich im Klo schwimmend die fauligen Überreste der Franzosen. Ach ja, Wasser gibt es diese Woche nicht. Sonst eigentlich auch nicht, wie ich mittlerweile weiß. Die zweite Uni-Woche fand wegen Wasserausfällen gar nicht erst statt. Der Strom fällt leider auch oft aus. Bei genauer Betrachtung des Elends in der Toilette bemerke ich, dass mich da zwei Augen anstarren. Erst dachte ich an Ratten, dass wäre deckungsgleich gewesen mit dem, was in meinem Studentenführer stand. War dann aber doch nur eine harmlose fette Kröte. Julia meinte, die Mädchen hätten oft Angst vor denen, aber die Jungs würden sie dann einfach aus dem Fenster werfen. Bei der Überlegung, wie man diese Kröte aus dem Klo, geschweige denn aus dem Fenster bekommen sollte, wurde mir übel. Naja, jedenfalls wohne ich jetzt offiziell im Wohnheim.

Lektion 3: Essen ist Triebbefriedigung!

In meinem Führer steht: „Das Essen ist schlecht, aber billig.“ Ich finde, dass ist geschmeichelt. Das Attribut „scheiße“ trifft den Charakter des Essens schon eher. Meiner Meinung nach war das Essen in Kolumbien schon ziemlich eintönig und übel, allerdings konnte man für europäische Preise auch vernünftiges Essen bekommen, war also alles eine Frage der persönlichen Kompromissbereitschaft. Das ist hier nicht der Fall, da nutzen auch die Devisen nicht viel. In den öffentlichen Gaststätten gibt es vor Fett triefende Pizzen belegt mit Käse oder Zwiebeln und Reis mit Bohnen, ggf. ein Stück Fleisch, bei dessen Anblick man freiwillig zum Vegetarismus übertritt. Mein Körper hat nach den ersten Tagen mit einer Selbstreinigung begonnen und gab jegliche Lebensmittel recht schnell wieder frei. Hunger hab ich nicht mehr. Von dem Assistenten einer Professorin aus Deutschland bekomme ich eine Portion Zwieback und einige Arzneimittel gegen Magenbeschwerden. Billig ist das Essen jedenfalls, so viel stimmt.

Zur allgemeinen Situation Kubas kann ich noch nicht viel sagen. Ich freue mich auf die Gespräche mit Einheimischen, hatte aber schon bei den ersten Treffen das Gefühl, dass über viele Dinge nicht offen gesprochen wird. Zwei andere Deutsche arbeiten derzeit in einem Entwicklungsprojekt (ASA) in Santa Clara in einem Marginalviertel am Stadtrand. Einer ihrer ambitionierten Partner wollte im örtlichen Forschungsinstitut eine Studienarbeit zum Thema „Armut in Santa Clara“ schreiben. Dies war nach Absprache mit den ansässigen Verantwortlichen nicht möglich. In Kuba gibt es keine Armut! Sollte er das Thema bearbeiten wollen, dann wenigstens nicht so, dass das Wort Armut in der Überschrift vorkommt. Themen wie Medienmanipulation, Arbeitslosigkeit und Rassismus sind auf jeden Fall brandheiß und existent, darüber werde ich demnächst hoffentlich mehr erfahren.

Beim Schlendern durch die Stadt treffe ich auf einen Mann Mitte 40. Er heißt Ernesto und irgendwie kommen wir ins Gespräch. Wir setzen uns im Stadtpark auf eine Bank und er erzählt mir von sich. Er wohnt in einem Viertel etwas außerhalb der Stadt und arbeitet in einer Bäckerei. 72 Stunden in der Woche für 200 kubanische Pesos monatlich, das sind 8 Dollar. Er hat eine Frau und eine Tochter, seine zweite Tochter ist vor einigen Jahren gestorben. Ernesto wirkt abgemagert. Meine Einladung auf ein Getränk lehnt er ab. Seine Schuhe sind zerfetzt und die Hose ist schlammig, in seinem Viertel gibt es kein Abwassersystem. Immer wieder murmelt er, dass es nicht leicht sei, das Leben hier (was nebenbei der O-Ton bei allen Gesprächen ist und irgendwie für die derzeitige Geisteshaltung der Kubaner spricht). Er fragt mich, was dieser Sozialismus soll, wenn er sich das Paar Schuhe für 4 Dollar nicht leisten könne. Für eine Mindestversorgung der Bevölkerung sorgt derzeit noch immer der Staat, in so genannten „Librettas“, Lebensmittelheftchen, wird Buch geführt über die erhaltenen Güter. Dass diese Lebensmittel eine hinreichende Versorgung nicht gewährleisten, sieht man Ernesto an.

Um diesen Rundbrief nicht nur beladen mit negativen Erfahrungen zu veröffentlichen, sei gesagt, dass viele der Kubaner, die ich treffe, wirklich nett und hilfsbereit sind. Die Studenten sind mir gegenüber sehr aufgeschlossen und einige haben mich gleich in den ersten Tagen gebeten ihnen etwas Deutsch-Unterricht zu geben. Meine Gastfamilie gibt sich größte Mühe mir alle Wünsche von den Augen abzulesen und auch die abendlichen Salsa-Konzerte im Park sind durchaus angenehm.

One thought on “Kuba: Im Nabel der Revolution in Santa Clara

  1. Während ich den Bericht
    Während ich den Bericht lese und an meine Zeit in Kuba denke, läuft ihm TV die Kochrezeptstunde von Cubavision. Wirklichkeit auf der Straße und Darstellung im Tele – welch Unterschied.
    Nach den Schilderungen scheint mir das Leben auf Kuba jedes Jahr entbehrungsreicher zu werden. Aber wer Dollars oder Euros hat kann am Schwarzmarkt wenigstens seine Produkte einkaufen, Baumaterial und andere Dinge, die er braucht. Aber was tut der Kubaner, der keine Verwandten im Ausland hat bzw. auch kein Händchen für Geschäfte? Wie überlebt der? Jedes Jahr wohl ein bisschen weniger, scheint mir!?

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