Die belgische Kolonialzeit in Ruanda und die einseitige Bevorzugung der Tutsi

Nach dem Abzug der deutschen Kolonialherren in Ruanda, wurde die auf rassistischen Vorstellungen über Ethnien basierende Politik von der folgenden Kolonialmacht Belgien fortgeführt. Vereinfachungen der ursprünglich durchaus komplizierten Zusammenhänge der Gesellschaftsstruktur trafen sie genauso rigoros wie ihre deutschen Vorgänger. So wurde der Grundstein für zukünftige Konflikte gelegt.

Nach dem Abzug der deutschen Kolonialherren in Ruanda, wurde die auf rassistischen Vorstellungen über Ethnien basierende Politik von der folgenden Kolonialmacht Belgien fortgeführt. Vereinfachungen der ursprünglich durchaus komplizierten Zusammenhänge der Gesellschaftsstruktur trafen sie genauso rigoros wie ihre deutschen Vorgänger. So wurde der Grundstein für zukünftige Konflikte gelegt.

Die „indirekte Herrschaft“, wie die Deutschen ihre Führung bis 1916 nannten wurde von den Belgiern zunächst weitergeführt, bald jedoch zu einer „direkten Herrschaft“ umgestaltet. Mit den Jahren gestanden die Belgier den ruandischen „Hutu-Chefs“ immer weniger Rechte zu und entmachtete sie von den meisten Kontrollfunktionen. Dies hatte immer problematischere persönliche Beziehungen zwischen den Kolonialherren und den einheimischen „Chefs“ zur Folge. Bald herrschten die Belgier ganz über die Könige und Chefs; das Mitbestimmungsrecht wurde ihnen Jahr für Jahr konsequent aberkannt. So räumten die Belgier den Tutsi mehr und mehr Macht ein, da die Kolonialherren von deren höherer Intelligenz und strategisch besseren Führungsgabe überzeugt waren. Im 1923 waren schließlich alle Hutu-Chefs durch Machthaber der „Tutsirasse“ eingelöst.

Bald darauf erfolgte die institutionelle Festschreibung der Ethnien in die Personalausweise. Neben biologischen Messungen sah man auch den Viehbesitz als ein  Merkmal ethnischer Zugehörigkeit. Menschen mit Vieh waren automatisch Tutsi, Menschen ohne Vieh Hutu. So einfach war das (vgl. Harding, 1998: 26 ff). Die Einführung der Personalausweise hatte nicht nur zur Folge, dass von nun an klare ethnische Kategorien im sozialen Kontext standen, da die Ungleichheit offiziell ausgesprochen und nicht mehr veränderbar wurde. Sie bewirkte auch, dass die neu produzierten Identitäten sich verfestigten und die  konstruierte körperliche und geistige Verschiedenartigkeit beider „Rassen“ als eine Natürlichkeit angesehen wurden. Durch die künstlich geschaffenen ethnischen Gruppen entstanden immer mehr Konflikte zwischen den Ruandern untereinander, die sich im Laufe der Jahre noch verstärken sollten (vgl. Hoering, 1997: 22 ff).

Alle höheren politischen Ämter lagen bis zum 2. Weltkrieg in den Händen der Tutsi. Nun wurden die Proteste und Beschwerden seitens der Hutu immer lauter, so dass selbst die Kolonialmacht die Notwendigkeit sah, politische Schritte gegen die aufkeimende Anti-Tutsi-Stimmung einzuleiten: Sie errichteten ein Quotensystem, bei dem eine gerechtere Verteilung der Arbeitsplätze auf beide „Ethnien“ ermöglicht werden sollte. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass den Hutu in der Öffentlichkeit mit wesentlich weniger Respekt gegenübergetreten wurde als den Tutsi. Zudem standen die Belgier zu diesem Zeitpunkt schon zwei künstlich definierten Ethnien gegenüber. Das Quotensystem konnte die vor Jahren gelegte Weichenstellung nicht mehr ungeschehen machen.

Besonders in den 50er Jahren spielte die Ethnizität eine nicht zu unterschätzende Rolle, so rückte sie sogar in das Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Zu dieser Zeit war immer noch der Großteil der Bevölkerung auf dem Land beschäftigt: die Hutubevölkerung, wie aber auch 90 % der Tutsi (vgl. Harding, 1998: 37 f). Es zeichnete sich grundsätzlich ab, das ein ethnisches Zugehörigkeitsgefühl einerseits Hutu- aber auch die Tutsi- Massen zusammenhielt: Die Tutsi-Bauern empfanden sich ethnisch mit der Tutsi-Elite verbunden und stellten ihre Position gegenüber denen der Hutu als höherwertig dar. Der einfache Tutsibauer sah sich dem einfachen Hutubauer als körperlich und geistig stark überlegen an. Diese   Differenzen spitzten sich mit den Jahren immer weiter zu.

Alte Aufzeichnungen zeigen, wie hart, streng und ungerecht die belgische Besatzungszeit war: Während ihrer Herrschaft flüchteten mehrere Tausend Hutu in Nachbarländer wie Uganda (vgl. Semujanga 2003: Kap. 2: 10).

Nach dem 2. Weltkrieg kam Ruanda unter die Treuhandschaft der Vereinten Nationen. Die Entwicklungen vor Ort wurden untersucht und man wollte Ruanda auf eine baldige Unabhängigkeit vorbereiten (vgl. Harding, 1998: 40 f). In dieser Zeit wurde auch das „Manifest der Hutu“ veröffentlicht (vgl. unten)

Missionierung – Einfluss der Kirche

Die christlichen Missionare spielten in der Kolonialzeit eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auch sie stützten sich bei Konvertierungsversuchen der Ruander in ihrer Argumentation auf die Hamitentheorie. Überzeugt, dass die „Schwarzen verflucht wurden und unzivilisiert sind“, priesen sie, dass nur eine Konvertierung zum christlichen Glauben die Rettung ihrer Seele herbeiführen könnte. So zogen die Missionare während der gesamten Kolonialzeit (von ca. 1899 bis 1962) bewaffnet durch das Land um Bekehrungswillige zu finden. Die Konvertierung sollte „von oben nach unten“ verbreitet werden: zuerst suchten die Missionare das Gespräch mit einzelnen Chefs um später mit deren Hilfe auch die Masse zu erreichen. Die Taktik fruchtete: 1934 waren 90 % der Chefs zum christlichen Glauben konvertiert. Diese erkannten schnell, dass man als Christ beruflich die besseren Aufstiegschancen hatte (vgl. Harding, 1998: 30 ff).

Die ersten Missionsschulen, in denen es separate Klassen für die Tutsi-Schüler gab, wurden in den 20er Jahren gegründet. Generell durften die Schulen nur nach einer Konvertierung betreten werden. Die ersten Schulen waren fast ausschließlich für Tutsi-Kinder bestimmt; so wurden bald neben 16 Hutu-Schülern 431 Schüler mit einem Tutsi-Ausweis unterrichtet. Mädchen und Frauen war es zu dieser Zeit allgemein nicht erlaubt, Bildungseinrichtungen zu nutzen (vgl. Semujanga, 2003: Kap. 2: 11).

Um an Bildung zu gelangen blieb den Hutu also nur die Konvertierung. Immer mehr Hutu besuchten die Missionsschulen, was bald die Folge hatte, das sich neben der mächtigen Tutsi-Elite eine immer stabiler werdende Hutu-Elite (aus Ladenbesitzern und Handwerkern) etablieren konnte. Diese konnte lesen und schreiben und bildete bald ein Gegengewicht zu den gebildeten Tutsi (vgl. Harding, 1998: 33f).

In den 50er Jahren wurde die große Hutumasse von den Missionaren regelrecht unterstützt, da sie diese „Ethnie“ als unterdrückt und daher unterstützenswert ansahen. So konnte sich bei den Hutu bald eine ganz neue, selbstbewusste Wahrnehmung ihrer eigenen „Ethnie“ herausbilden. Die Hutu fingen an öffentlich gegen die „Unterdrückung“ der Tutsi anzukämpfen und forderten politisches Mitbestimmungsrecht.

Besonders die kirchliche Presse wurde ein wesentlicher Bestandteil der immer besser organisierten Hutu- Propaganda. Das Medium Presse half, die Meinungen der Hutu schneller zu verbreiten und somit auch die Massen besser mobilisieren zu können. Christliche Missionare waren mehr als nur Unterstützer: Sie waren Mitarbeiter und Verbreiter der Agitation und verhalfen der Hutu-Masse zu einem eigenen, stolzen, ethnischen Bewusstsein (vgl. Harding, 1998: 48 f).

Das Manifest der Hutu

Das von den Hutu 1957 veröffentlichte Manifest beinhaltete u.a. die Forderungen, umgehend von den Tutsi emanzipiert zu werden. Ferner strebten sie selbst Machtpositionen an. Unterstützung erhielten sie von den Priestern, die sogar das Manifest schriftlich verfassten. Grund für die Zusammenarbeit waren die Erkenntnisse seitens der Kirche, dass die Hutu-Mehrheit ethnisch von der Tutsi-Elite unterdrückt und diskriminiert wurde. Dem wollten sie sich entgegensetzen. Es folgte eine blutige Revolution, ausgelöst durch die Hutu. In ihrem Manifest behaupteten sie, schon vor der Kolonialzeit von den Tutsi „überrannt“ worden zu sein. Ferner drohten sie den Tutsi, ihnen bald die Macht zu entreißen. Nun seien die Hutu an der Reihe ihre Macht auszuüben, da die Versklavung sogar schon von den Kolonialherren (besonders den Belgiern) Unterstützung fand.

Als dann am 24. Juli 1959 der damalige König Mutura III auf noch heute ungeklärte Weise verstarb, begann eine Gegenrevolution, diesmal von den Tutsi ausgehend; sie waren überzeugt, die Hutu als Mörder identifizieren zu können. Blutige Auseinandersetzungen und gewalttätige Übergriffe, die auch auf politischer Ebene bis 1960 ausgetragen wurden; hatten das Ergebnis von insgesamt 200 Toten.

Heute erscheint die Reaktion der Belgier auf die Revolution grotesk: Die Ursache, so meinten sie, sei ein Stammeskonflikt, da beide Rassen ethnisch zu verschieden seien. Konflikte und Reiberein seien in solchen Ausgangssituationen normal (vgl. Semujanga, 2003: Kap. 2: 13 f).

Die Hutu dichteten den Rassenmythos, der von den Deutschen und Belgiern ins Land gebracht wurde, um und behaupteten, die Tutsi-Herrschaft sei schon immer von schrecklicher Tyrannei geprägt und der Machtanspruch eigentlich den Hutu gehöre. Die Gewaltbereitschaft der Hutu nahm immer mehr zu und bald wurden die Tutsi auch öffentlich als Feinde charakterisiert (vgl. Harding, 1998: 27 f).

Die ersten Wahlen als Vorbereitung auf die Unabhängigkeit wurden in Ruanda im Juni 1960 abgehalten. Man kann sich bei diesem Ergebnis jedoch sicher sein, dass weder Personen noch deren Ideen und Zielsetzungen gewählt wurden, sondern lediglich Ethnien: Mit 71 % gewann die Hutu-Partei „PARMEHUTU“ (vgl. Kap. 7 dieser Arbeit). Der Sieg der Partei PARMEHUTU ist verständlich, macht man sich die Bevölkerungsstruktur Ruandas bewusst: etwa 90% der Einwohner sind Hutu, 9% Tutsi und nur 1% Twa (vgl. Wikipedia). Als Staatspräsident wurde Grégoire Kayibanda gewählt. Zum ersten Mal in der ruandischen Geschichte kehrte sich das Regierungssystem um: Die Macht lag in den Händen der Hutu-Mehrheit. Ihr Amtsbeginn war am 1.Juli 1962; am gleichen Tag galt auch die Revolution als beendet.

Ihren Wahlsieg nahm die PARMEHUTU zum Anlass, über 1000 Tutsi ins Exil zu drängen und diese „ethnische“ Minderheit aus allen politischen Ämtern zu verbannen. Später wurden im selben Jahr (1962) sogar 350.000 Tutsiflüchtlinge gezählt, die im Ausland lebten (vgl. Harding, 1998: 61). Das Töten bekam eine gewisse Systematik, so dass vor Beginn des Jahres 1963 schon allein 2000 Tutsi durch eine „vorgeschobene“ ethnische Diskriminierung und Verfolgung ums Leben kamen. Ruanda glich weniger einer Demokratie, als vielmehr einem Polizeistaat: Straßensperren und -kontrollen, Überwachungen wie auch Beschattungen verschärften die eh so angespannte Situation; wobei einst doch ein so friedliches Miteinander zwischen Hutu und Tutsi herrschte (vgl. Semujanga, 2003: Kap. 2: 15 f).

 

 

Quellen

Baratta, Mario von (2001): Der Fischer Weltalmanach 2002. Zahlen. Daten.  Fakten. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

Berkeley, Bill (2001): The Graves are not yet Full. New York: Basic Books.

Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) (1999): Afrika 1 Zeitschrift 264. Bonn: Schwann Bagel GmbH & Co KG.

Diamond, Jared (2005): Collapse. London: penguin group.

Die Bibel – Die heilige Schrift. Altes und neues Testament. Nach einer Übersetzung von Luther.

Gleichmann, Peter; Kühne, Thomas (Hrsg.) (2004): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen: Klartext Verlag.

Harding, Leonhard (1998): Ruanda – der Weg zum Völkermord. Vorgeschichte – Verlauf –Deutung. Hamburg: Lit. Verlag.

Hoering, Uwe (1997): Zum Beispiel Hutu & Tutsi. Der Völkermord hätte verhindert werden können, befand ein UN-Bericht. Göttingen: Süd-Nord-Lamuv.

Kimenyi, Alexandre (1978): A Relational Grammar of Kinyarwanda. Volume 91. London: University of California Press.

Kimenyi, Alexandre (2002): A Tonal Grammar of Konyarwanda – an Autosegmental and  Metrical Analysis. Volume 9. New York: The Edwin Mellen Press.

Mamdani, Mahmood (2001): When Victims Become Killers. Colonialism, Nativism, and the Genocide in Rwanda. Princeton, New York: Princeton University Press.

Melvern, Linda (2000): A People Betrayed. The Role of the West in Rwanda's Genocide. London, New York: Zed Books.

Newbury, Catharine (1988): The Cohesion of Oppression. Clientship and Ethnicity in Rwanda 1860– 1960. New York: Columbia University Press.

Scholl-Latour, Peter (2001): Afrikanische Totenklage. München: Bertelsmann Verlag.

Semujanga, Josias (2003): The Origins of Rwandan Genocide. New York: Humanity Books.

Wikipedia, Ethnie: 05.10.2006, 12:35 Uhr., http://de.wikipedia.org/wiki/Ethnie

Wikipedia, Rasse: 05.10.2006, 12:40 Uhr. http://de.wikipedia.org/wiki/Rasse

Wikipedia, Ruanda: 05.10.2006, 15:40 Uhr.   http://de.wikipedia.org/wiki/Ruanda