Mensch, dann verschlafen wir das größte Ding in der Weltgeschichte! (zum 9. Nov. 1989)

Ich war 14 Jahre alt im Jahr 1989, eine aufregende Zeit im Leben, aber dieses Jahr war für alle aufregend, die hier lebten. Soviel war passiert den Sommer über. Viele waren über Ungarn abgehauen und wir hatten einen neuen Regierungschef, der aber auch aus „der alten Garde“ war.

Ich war 14 Jahre alt im Jahr 1989, eine aufregende Zeit im Leben, aber dieses Jahr war für alle aufregend, die hier lebten. Soviel war passiert den Sommer über. Viele waren über Ungarn abgehauen und wir hatten einen neuen Regierungschef, der aber auch aus „der alten Garde“ war. Es gab noch einmal einen großen Aufmarsch und Fackelzug zum Jahrestag bei dem viele nur dabei waren um „Gorbi“ zu sehen. Viele Klassenkameraden gingen noch hin und marschierten vorbei, aber ich war nicht dabei. Unsere Familie hatte innerlich schon lange mit dem System abgeschlossen, obwohl mein Vater in der Partei war. Na ja und so waren wir auch bei der großen Demo am 4. November auf dem Alex mit dabei. Eine Million, sagen manche, sollen es gewesen sein. Also, das war schon interessant für so einen „Stippi“ wie mich! Transparente, Reden, Applaus, Pfiffe für die „alte Garde“… und fünf Tage später war die Mauer auf! Abends gegen zehn haben sie sie auf gemacht und ich habe alles im Radio gehört! … und ich dachte es wäre ein Hörspiel! Ein wirklich gut gemachtes! Ein außerordentlich gut gemachtes! Nein, das musste real sein! Nein, das war zu echt! Ich lag schon im Bett und hatte mindestens schon eine halbe Stunde zugehört, bevor ich aufstand und zu meinen Eltern in die „Stube“ ging und ihnen die Nachricht mitteilen wollte. Aber bevor ich etwas sagen konnte, rief meine Mutter: „Was machst Du noch hier? Bist Du immer noch nicht im Bett? Jetzt ist es aber genug! Ab ins Bett!“ Das war noch in dieser Zeit als der Fernseher nicht immer ununterbrochen lief und so hatten meine Eltern aus dem Fernsehen nichts mitbekommen. Ich sagte: „Wisst ihr was, die Mauer ist offen!“ Meine Mutter: „Was sagst Du? Ach hör doch auf! Jetzt ab ins Bett!“ Ich: „Doch die Mauer ist offen! Ich habe es im Radio gehört! Du kannst es ja selbst hören oder macht den Fernseher an!“ Doch meine Eltern hatten andere Sachen zu besprechen und meine Mutter wurde schon ein bisschen wütend mit mir und dachte ich erfinde immer Stories, damit ich nicht ins Bett muss.. aber so eine schlechte Story hatte ich noch nie erfunden! Und so ging ich wieder ins Bett und dachte: „Na ja, wenn meine Eltern sagen, dass kann nicht sein, dann kann es wirklich nicht sein.“ Aber ich hörte weiter zu und es klang einfach zu real! Das war zu real! „Und überhaupt, wie lange sollte dieses Hörspiel noch gehen? Ging das die ganze Nacht? Normalerweise läuft zu dieser Zeit doch immer Musik auf Rias. Hm. Aber vielleicht hatten sie das ganze wegen der bewegten politischen Situation gemacht. Die im Westen machen immer diese Sachen.. und ein paar Tage zuvor gab es ja auch so ein Hörspiel: ‚in dem Außerirdische landen..’. Na und das die Mauer fällt, das ist ja ungefähr genauso unwahrscheinlich.“ Trotzdem, sie sollten sich das doch wenigstens mal anhören! Diese Live-Berichte von den ganzen Leuten, die da interviewt wurden.. Das konnte vielleicht doch wahr sein! Soviel unglaubliche Veränderungen hatte es ja schon gegeben! Doch das musste einfach wahr sein! Also, stand ich wieder auf und versuchte meine Eltern zu überzeugen, dass sie doch mal den Fernseher anmachen sollten und wir dann bescheid wüssten. Aber: Keine Chance! Sie hatten andere Sachen zu besprechen! Und wurden schon langsam echt böse, dass ich an diesem Tag partout nicht ins Bett gehen wollte! Das ganze wiederholte sich ein drittes Mal: „Mutti, Papa bitte macht doch einfach den Fernseher an, wenn es nicht stimmt, schlafe ich sofort!“ Aber: Keine Chance! „Mensch, dann verschlafen wir das größte Ding in der Weltgeschichte! Dann verpassen wir alles! Vielleicht ist morgen wieder alles vorbei! Wir müssen rüber!“ Meine Mutter: „Du mit Deinen Hirngespinsten! Jetzt ist aber wirklich Schluss!“, sagte sie jetzt schon sehr böse. Und so gingen wir alle ins Bett. Mein Vater begann immer bereits um 6 Uhr und hörte morgens auch kein Radio. Später erfuhr ich nur, dass er sich auf Arbeit wunderte, warum er ganz alleine war. Meine Mutter kam morgens um 6 Uhr zu mir und sagte nur: „Komm wir gehen!“ Und ich war so böse!! Ich war so böse!! Ich hatte das Gefühl alles verpasst zu haben! Und sagte: „Siehst du! Ich habe Dir das doch gesagt!“ In der Nacht hatten sie die Leute in dem Chaos am Ende einfach so herübergelassen, am Morgen lief es nach guter alter Tradition wieder gesittet und ordentlich. Nur mit Stempel im Ausweis konnte man rüber. Was für einen Sinn das hatte, wenn sowieso jeder diesen Stempel haben kann, begriff keiner, aber alle stellten sich ordentlich an, bekamen das Ding und dann gingen wir in den Westen. Bilder haben wir in der Zeit kaum gemacht. Die Zeit war zu bewegt. Wir steckten mitten drin und hatten keinen Kopf für so was…