Das große Essen

In der zweiten Woche meiner Ausbildung habe ich dann ein großes Essen gegeben, für 200,- Euro. Samea und Hermid erklärten sich bereit, mir zu helfen, machten mit mir eine Vorbereitungsliste (zum Beispiel gab es nicht genug Geschirr) und eine Einkaufsliste. Gemeinsam überlegten wir, wen wir einladen könnten.

Im Grunde wollte ich nur Afghanen einladen, eine Party für Hezarak, mich den örtlichen Offiziellen vorstellen. Dann wurde mir aber klar, dass ich auch die Kabuler Chefs einladen müsse. Und dann auch ihre Frauen.. Kurz vor der Party steckte mir Samea, dass es aber nicht ginge, dass mit diesen konservativen Käuzen die beiden Frauen mitessen würden. Ob ich die nicht fragen könne, ob sie vielleicht in meinem Container essen würden. Ach du Schreck!

Sie kamen nicht. Nur Afghanen, nur Männer. Irgendwann später meinte der (selbst konservative) Said Machmat, so ein Quatsch, natürlich hätten die beiden Frauen mitessen können. Die seien Europäerinnen, da sei das kein Problem. Und Arnold meinte: „Da hättest Du eine schöne Szene erleben können, wenn du die Frau vom Chef gefragt hättest, ob sie im Container isst.“ Noch mal Glück gehabt.

So war es eine große Sache wohl. Und ich völlig aufgelöst. Statt der geladenen zehn Bezirks- und Dorf- Ältesten kamen fünfundzwanzig. Alle wohl, die etwas zu sagen hatten. Ihre Titel habe ich nicht begriffen, aber einer war ganz offensichtlich der örtliche Commander: Er zog als einziger die Schuhe nicht aus, sondern setzte sich damit auf die Tischdecke. Schon sein Gesichtsausdruck sah erstaunlich dämlich aus. Die anderen gefielen mir zumeist wesentlich besser: Alte Männer wie aus dem Bilderbuch, mit Afghanenkleid, barfuss in Badelatschen, Turban auf den wettergegerbtem Kopf und Bart bis in den Suppenteller. Und würdevoll.

Wir saßen vor dem Haus auf einer Art Terrasse, in zwei Reihen uns gegenüber. Die Azubis und die Wächter saßen etwas abseits. Toll, dass es möglich war, draußen zu essen, immerhin Mitte Januar. Aber tagsüber ist es halt doch ziemlich warm, wenn die Sonne scheint. Zu Anfang rezitierte (das heißt hier: sang) Samea eine Koransure, darauf hielt erst Mir Wais (der die Gemeinwesenarbeit macht), später Mir Rachim eine Rede, und dann war ich dran. Meine spärliche Dari- Kenntnisse begeisterten alle und ich entschuldigte mich höflich, weil ich kein Pashtu könne.

Ich ging bald ins Englische über und hielt eine Lobrede auf die alte und hochentwickelte Kultur von Afghanistan, erzählte kurz, was ich hier tue und gab ein Sprichwort zum Besten. Mittendrin schaute ich plötzlich in das völlig verblüffte Gesicht von Samea, der den englischen Teil meiner Rede übersetzte hatte: Ohne es zu merken, hatte ich plötzlich Deutsch gesprochen!

Von vielen Seiten sollte ich später hören, das sei eine tolle Party gewesen, ein „powerful Meeting“! Es war wohl das hochrangigste Treffen im Distrikt Hezarak seit dem Krieg. Ganz viele halfen, angefangen von dem Hazara- Tierarzt Dr. Haschir, der mit wundervoller Schrift die Einladungskarten schrieb, über meine beiden Logistik-Helfer Samea und Hermid, mit denen ich zusammen auch ein Großteil des Einkaufes machte (und nur mit Mühe das von Arnold versprochene Auto bekam – ohne ihn, aber mit seinem Fahrer und seinem Übersetzer) bis hin zu den Köchen und all jenen, die den Tisch deckten und abräumten, Geschirr von zu Hause mitbrachten und vieles mehr.

Samea fragte ich dann auch, wem ich Geld bezahlen solle, weil ich das – außer für die Köche, das war mir klar – nicht einschätzen konnte. Er nannte mir dann noch einen Wächter, der auch mit geholfen hatte.

Am Tag darauf steckte mir mein Übersetzer, dass der Lagerverwalter Nasim sauer gewesen wäre, dass er nichts bekommen habe. Erst verstand ich, dass Sadat für sich selbst um Geld bat und war verärgert. Ich erzählte den Ingenieuren davon, was wiederum Sadat sehr verschämte und mich zu einer öffentlichen Entschuldigung veranlasste. Nasim aber ließ nicht locker und nachdem einer der Fahrer, offensichtlich von ihm geschickt, auch irgendeine Bemerkung in dieser Richtung machte, sprach ich mit Samea darüber. Eigentlich um zu erfahren, ob er vielleicht doch jemanden vergessen habe. Einen Tag später saß ein völlig eingeschüchterter Nasim bei mir im Container, entschuldigte sich vielmals und fragte kleinlaut, ob ich wirklich mit dem Chef in Kabul darüber reden wolle, wie ihm Samea angedroht hatte.

Ich konnte ihn beruhigen, gab ihm aber nichts. Mir war es lieber, nicht noch nachträglich jemanden auf sein Verlangen hin Geld zu geben. Ich sah schon eine mehr oder weniger fordernde abendliche Schlange vor meinem Container. Was allerdings aus all den Resten dieses Festes und all jenen Sachen, die ich zwar eingekauft, aber beim Essen nicht gesehen hatte, passiert ist, das sollte mich noch etwas beschäftigen.

20. Januar