Der Konflikt zwischen Kapital und Globalisierungskritikern in Australien und die Ebene der Selbstsicht: Gramsci und Hegemonie

Inwieweit wird der ökonomische Konflikt zwischen den dem globalen Kapital verpflichteten Institutionen und den globalisierungskritischen Aktivisten in Australien auf der Ebene der nationalen und kulturellen Selbstsicht ausgefochten? Eine hilfreiche theoretische Plattform zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen dem externen und dem intra-persönlichen Spannungsverhältnis liefert das Hegemoniekonzept von Antonio Gramsci, deren Applikation im Folgenden umrissen werden soll.

Inwieweit wird der ökonomische Konflikt zwischen den dem globalen Kapital verpflichteten Institutionen und den globalisierungskritischen Aktivisten in Australien auf der Ebene der nationalen und kulturellen Selbstsicht ausgefochten? Eine hilfreiche theoretische Plattform zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen dem externen und dem intra-persönlichen Spannungsverhältnis liefert das Hegemoniekonzept von Antonio Gramsci, deren Applikation im Folgenden umrissen werden soll.

Der italienische, kommunistische Theoretiker versuchte in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts am Beispiel Italien zu erklären, warum sich eine zahlenmäßig relativ kleine Gruppe an der Macht über die Massen halten kann, deren Interessen ihnen eigentlich diametral gegenüberstehen. Damit versuchte er zu erhellen, warum der von Marx postulierte Automatismus des Siegeszuges der Arbeiterklasse nicht eintritt, selbst wenn ein zahlenmäßiger Vergleich der beiden Gruppen eigentlich eine Revolution nahe legen würde. In seinen in politischer Haft verfassten Prison Notebooks findet er eine Erklärung in dem von ihm mit dem Begriff „Hegemonie“ benannten Konzept.

Obwohl er sich nie auf eine genau Definition des Begriffs einließ, lässt sich doch eine allgemeine Bedeutung seiner Auslegung konstruieren. Peter Ives schreibt: [quote] „Among all the different possible meanings for the term, one common element is that it helps explain why large groups of people continually aquiesce to, accept and sometimes actively support governments- and entire social and political systems – that continually work against their interests.“ Ives, 2004, S. 6. [/quote]

Die kleinere, aber dominante Gruppe schafft es, die anderen politischen Entitäten einer Gesellschaft davon zu überzeugen, dass ihr Einflußmonopol nicht nur im Interesse aller und somit legitim, sondern sogar alternativlos ist. Sie wird als natürlich, vom Sachzwang her unabänderlich oder gottgegeben dargestellt. Darüber noch hinaus wird selbst die Möglichkeit, sich eine andere Herrschaftsform auch nur vorzustellen, geschweige denn eine andere als die paradigmatische Gruppe mit Macht auszustatten, unmöglich gemacht. „In a nutshell, Gramsci redefined hegemony to mean the formation and organisation of consent.“ (Ives, 2004, S. 2).

Eine solche totale Kontrolle der öffentlichen und privaten Vorstellungskraft wird nur durch einen möglichst umfassenden Einfluss auf die meinungsbildenden Institutionen und die Instanzen menschlicher Sozialisierung erreicht. Der Einfluss muss bis in die Diskurse und Narrative, die das Selbstverständnis der breiten Masse ausmacht, ausgedehnt werden. Die wichtigsten Organe zur Errichtung einer Hegemonie der Wenigen sind dementsprechend auch die Medien und das Bildungssystem, obwohl auch alle anderen staatlichen und privaten Institutionen für die Weiterverbreitung des hegemonialen Absolutheitsanspruchs genutzt werden können. Nur so kann garantiert werden, dass die Bedingung der Möglichkeit von Kritik am herrschenden Paradigma für die breite Masse erst gar nicht entsteht.

[quote]„For Gramsci, the hegemonic process must go beyond corporate interests and become universal, altering people's very identities through the creation of a collective will.“ Ives, 2004, S. 112. [/quote]

Peter Ives argumentiert in Language and Hegemony in Gramsci, dass auch die herrschenden Eliten in formal liberalen Systeme und Demokratien ihre eigene, verdeckte Hegemonie betreiben. Dabei funktioniert sie vielmehr wie eine Sprache, die nicht so sehr festlegt, was gesagt wird, als vielmehr die Regeln, wie etwas gesagt wird, definiert und so das Aussagbare in einem Denkrahmen begrenzt (Ives, 2004, Kap. „Language and Hegemony in the Prison Notebooks“, S. 63-101).

Teil der Attraktivität dieses Systems selbst für diejenigen, die dadurch eigentlich geschädigt werden, ist, dass es lange Phasen politischer Stabilität garantieren kann. Die Ausübung der Herrschaft muss nicht fortlaufend mittels offen zur Schau gestellter Aggressivität erhalten werden, wenn sie auch per Diskurs und manufactured consent aufrecht erhalten werden kann.

[quote]„In other words, can we say a society is free of domination if the government or state is not using overt coercion and physical force to dominate its subjects? Gramsci would answer, no. And hegemony is a central concept in analysing domination.“ Ives, S. 6. Für eine Diskussion der Ähnlichkeiten zwischen Gramsci und Foucault, insofern ihre Konzeptionen von Macht im Diskurs betroffen sind, vergleiche Ives, 2004, 142ff. [/quote]

Sind sich die Vertreter des herrschenden Paradigmas der Wenigen allerdings der universellen Akzeptanz ihres Herrschaftsanspruch nicht vollständig sicher, werden wieder robustere Formen sozialer Kontrolle ausgeübt. Verity Burgmann formuliert mit Blick auf die Ereignisse in Seattle und danach noch allgemein:

[quote] Increasing violent repression of counter-globalisation protests on the part of nation-states could be interpreted as a sign of weakness rather than as strength. Antonio Gramsci (1971, S. 238. u.a.) argued that overt forms of social control are the resort of societies where 'hegemony' is weak such as Czarist Russia. (Burgmann, 2003, S. 326) [/quote]

Der in Melbourne ansässige Politologe Damian Grenfell erweitert die Aussage und bezieht sie auf die Situation der globalisierungkritischen Bewegung in Australien:

[quote] The police violence at S11 and elsewhere is a likely response by state authorities that are drawn into protecting the interests of global capitalism, as the state is forced to fall back upon its resources of violence to manage protest in the face of decline in its legitimacy. (Grenfell, 2001, S. 233) [/quote]

Mit der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Globalisierungskritik, selbst durch die bewusst voreingenommen Medien, tauchte der Glimmer einer Alternativmöglichkeit zum omnivoren kapitalistischen Kulturprojekt auf. Die Reaktion der zunächst verunsicherten Autoritäten war dementsprechend extrem. Die momentane Verunsicherung des Machtapparates schlug sich in Gewalt nieder. Danach folgte die öffentliche Herabsetzung und der Ausschluss

Aber auch nach dieser nach Gramsci vorhersehbaren Entgleisung bleibt es doppelt verwunderlich, dass sich im nationalen Diskurs Australiens Narrative halten, die in ihrer Grundstruktur anti-hegemonial ausgerichtet sind, die Divergenz und Widerstand zelebrieren. Auch hierzu gibt der Italiener eine Erklärung: Die wirtschaftliche Elite nutzt auch die eigentlich gegen sie gerichteten Kulturbausteine und deutet sie um oder kommodifiziert sie, indem sie radikale Anteile unter- und ihr zuträgliche Elemente überbetont.

One thought on “Der Konflikt zwischen Kapital und Globalisierungskritikern in Australien und die Ebene der Selbstsicht: Gramsci und Hegemonie

  1. Wenn du DER Florian Fleischmann
    aus dem guten alten Fulda bist, dann würde ich mich ziemlich über ne Nachricht freuen, schließlich haben wir uns seit deinem Umzug nach Paderborn in die Kellerwohnung aus den Augen verloren.
    Svenja mit der Sonnenblume

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