Nach dem Frühstück besuchte ich Martin. Das Taxi hielt genau da, wo in meinem Plan die deutsche Welthungerhilfe (DWHH) eingezeichnet war, aber es gab an den Häusern keine Zeichen, wie sonst überall (Hausnummern gibt es sowieso nicht und ganz selten Straßennamen). Auf meine Frage erzählte mir jemand, die seien umgezogen, irgendwo dort hinten. Also bin ich dahin gelaufen. Ein Rollstuhlfahrer bettelte mich um Geld an, ließ auch nicht locker, ganz offensichtlich ein Profi. Er habe seit zwei Monaten keine Arbeit mehr. Und seit zwei Tagen hätten er und seine Familie nichts mehr gegessen.
Nach dem Frühstück besuchte ich Martin. Das Taxi hielt genau da, wo in meinem Plan die deutsche Welthungerhilfe (DWHH) eingezeichnet war, aber es gab an den Häusern keine Zeichen, wie sonst überall (Hausnummern gibt es sowieso nicht und ganz selten Straßennamen). Auf meine Frage erzählte mir jemand, die seien umgezogen, irgendwo dort hinten. Also bin ich dahin gelaufen. Ein Rollstuhlfahrer bettelte mich um Geld an, ließ auch nicht locker, ganz offensichtlich ein Profi. Er habe seit zwei Monaten keine Arbeit mehr. Und seit zwei Tagen hätten er und seine Familie nichts mehr gegessen. Irgendwann hörte ich auch auf, höflich mit ihm zu reden. In dem Viertel Wazir Akbar Khan, in dem ich nun war, gibt es sehr viele ausländische Organisationen und deshalb in jeder Straße auch etliche Wachposten der Miliz. Einen solchen fragte ich also nach der ‚german agro aktion’, wie sich die DWHH hier nennt. Der wusste aber nichts. “Aber ich!” triumphierte der Rollstuhlfahrer und fuhr auch schon los, direkt zu der deutschen ‚Kreditanstalt für Wiederaufbau’. Nein, sagte ich, das ist es nicht. “Dahinten ist noch ein Haus der DWHH!” meinte er dann. Ich bin also brav hinter ihm her, diesmal zu der deutschen GTZ. Auf meine sehr unwillige Reaktion hin beeilte er sich zu sagen: Oh, er wisse ganz genau, ich wolle nicht nur zu einem deutschen Haus, ich wolle zur DWHH und das sei dort hinten um die Ecke. Völlig entnervt habe ich ihm 20 Afghani für seine ‚Dienste’ in die Hand gedrückt und endlich ließ er mich auch in Ruhe. Ein Anruf machte alles ganz einfach und zwanzig Minuten später stand ich dann wieder vor dem ersten Haus: Die DWHH war gar nicht umgezogen. Martin war als Architekt mit Auslandserfahrung in einem Projekt vorgesehen, dass eine Tagesreise von Herat, also völlig auf dem Land lag. Und ich mit meinem Projekt, gerade mal anderthalb Autostunden von Kabul entfernt, bin mir schon als etwas Besonderes vorgekommen. Aber die staatliche Entwicklungshilfe, wie zum Beispiel der Entwicklungsdienst, muss halt vielmehr auf die Sicherheit achten, als private Hilfsorganisationen das müssen. Schon alleine wegen der Presse. Bei Martin gab es sogar Vollkornbrot für mich (hatte er mitgebracht) und zu Fuß sind wir in die Innenstadt, zum Kabulfluss und in ein Wohngebiet, dass den Berg hoch gebaut ist. Martin meinte noch, er habe gehört, in den Stadtrand- Gebieten sei es gefährlicher, sei die Kriminalität höher. Ich hatte das noch nicht gehört und sagte: “Lass uns da mal hingehen und Du wirst sehen, wie sicher wir da sind.” Wir waren bald umringt von einer Gruppe Jugendlicher, die versuchten, uns zum Essen oder Tee ein zu laden und es damit durchaus ernst meinten. Sie zeigten uns Bilder von sich beim Taek-wan-do-Training, meinten, dass wir ohne ihre Hilfe niemals den Weg finden würden und probierten sich als Übersetzer. Als Martin nicht mehr weiter laufen wollte, versuchten sie uns eine ganze Weile davon zu überzeigen, wie gut sie Martin auf dem Rücken tragen könnten (‚wie ein Esel’). Auch sie waren wieder ganz begeistert von meinen Dari -Sprach-Versuchen. Das Viertel war in den steilen Berg gebaut, selbst die Fußwege waren zum Teil kaum normal zu gehen, sondern man musste eher klettern. Auch war es nie klar, wohin die Wege führten, zum Teil sah etwas wie ein Weg aus, mündete dann aber doch in einen Hof. An einer Stelle, noch recht weit unten, gab es einen öffentlichen Brunnen zum Pumpen. Zwanzig bis dreißig Menschen, Frauen Männer, viele Kinder standen dort um Wasser an. Alles muss den Berg zu Fuß hinaufgetragen werden und das zwei Minuten vom Stadtzentrum entfernt. Die Abwässer, wie überall, laufen einfach den Berg hinunter. Und dazwischen unglaublich freundliche Menschen. Schade, dass es so unhöflich ist, einfach alles und jeden zu fotografieren. Ich würde gerne noch viel mehr Bilder von den Menschen machen. Wie sie erst so böse dreinblicken, wie sie lachen, wenn mensch sie anspricht. Oder die Kinder beim Murmelspielen, beim Drachen steigen lassen, beim Hüpfen über aufgezeichnete Quadrate oder beim Zielwerfen mit kleinen Steinen. Die Jugendlichen beim Volleyballspiel oder der Junge mit den abstehenden Ohren, der uns in gutem Englisch erzählt, dass er das Englisch sechs Monate lernen durfte, jetzt aber der Kurs leider zu Ende sei. Der kleine Junge, der mir Batterien verkauft und zufrieden und frech grinst, weil er mir die Batterien für 10 Cent pro Stück angedreht hat.