Die Omnipräsenz der Demütigung in der heutigen Gesellschaft und die Politik der Würde

Der Begriff der Demütigung ist der Bedeutungsgruppe Unlust empfinden zuzuordnen und steht auf gleicher Stufe mit Bedrohung, Elend, Kränkung und Leid (vgl. Franz Dornseiff, Der deutsche Wortschatz, 2004). Auch die Synonyme für Demütigung, wie z.B. Entwürdigung, Herabsetzung, Missachtung oder Verachtung, sind ähnlich negativ in ihrer Bedeutung, so dass es für einen Außenstehenden schwer verständlich erscheinen mag, dass Demütigung auch freiwillig beinhalten kann, wie bei bestimmten religiösen Praktiken. Und sie kann sogar „einvernehmlich statt finden“, zum Beispiel bei sadomasochistisch-interessierten Menschen, die aus Demütigungen einen Lustgewinn ziehen. Doch im Prinzip ist Demütigung die erzwungene Erniedrigung eines Menschen oder einer Gruppe, ein Prozess der Unterwerfung, der den Stolz, die Ehre, und Würde der Opfer verletzt oder vollständig raubt. Gedemütigt zu werden bedeutet, oft in extrem schmerzhafter Weise, in eine Situation gebracht zu werden, die sehr viel „tiefer” angesiedelt ist als es das Opfer erwartet. Der Akt der Demütigung enthält erniedrigendes Verhalten anderen gegenüber, Verhalten welches etablierte Grenzen und Erwartungen überschreitet. Demütigung kann Zwang und Gewalt beinhalten. Im Zentrum steht die Idee des nach unten Drückens und unten Haltens.

Der Begriff der Demütigung als solcher stellt keinen akademischen Terminus dar. In Lexika und Wörterbüchern wird die Demütigung als: Verletzung von jemanden in seiner Würde und Ehre (Wahring Deutsches Wörterbuch 1980); Verletzung von jmds. Selbstgefühl oder Stolz (Knaurs Grosses Wörterbuch der deutschen Sprache, Der Grosse Störing, München 1985); tiefe, beschämende Kränkung (Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch, Band 2, Stuttgart 1981), Herabwürdigung (Meyers Grosses Universal Lexikon, Band 16, Mannheim 1986) oder als Erniedrigung, Nichtachtung (Duden, Sinn- und Sachverwandte Wörter, Synonymwörterbuch der deutschen Sprache, Hrsg. Wolfgang Müller, Mannheim, Leiozig, Wien, Zürich 1997) beschrieben.

 

[quote] Demütigung (von Demut) ist die absichtlich beschämende oder verächtliche Behandlung eines wehrlosen Anderen vor den Augen Dritter oder vor seinen eigenen Augen. (vgl. Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Demütigung, Version 21:04, 18. Apr 2006) [/quote]

Die Demütigung scheint in der heutigen Gesellschaft omnipräsent zu sein und weist eine Menge von unterschiedlichen Erscheinungsformen auf. Man kann von einer psychischen, körperlichen, emotionalen, sexuellen oder beruflichen Demütigung sprechen, aber auch von einer politischen oder nationalen Demütigung. Der Begriff der Demütigung kann daher auf einer persönlicher Ebene (Mikroebene) als auch auf einer kollektiven Ebene (Makroebene) betrachtet werden. In beiden Fällen hat er mit dem Begriff von Würde, Ehre und Stolz zu tun. Da diese Werte unterschiedlich bei den Individuen herausgeprägt sind, wird die Demütigung auch im unterschiedlichen Grade empfunden. Sie hängt von der Sensibilität eines Menschen, hat daher einen subjektiven Charakter.

Forschung über Demütigung

Demütigung ist ein Akt, ein emotionaler Zustand, und ein sozialer Mechanismus, der relevant für Anthropologie, Soziologie, Philosophie, Sozialpsychologie, klinische Psychologie, und politische Wissenschaften ist. Diese Multidisziplinarität ist möglicherweise der Grund, warum die Dynamik der Demütigung noch kaum erforscht wurde, zumindest “in eigener Sache” und als von anderen Begriffendifferenzierter Terminus. Demütigung wird vor allem in psychologischen oder soziopsychologischen Kontext untersucht. In dem ersten Fall wird sie häufig als Synonym von Scham behandelt, ein gefühlsmäßiger Zustand, der Erfahrung und Gefühl beinhaltet. Interessanter für unsere Diskussion ist aber der soziopsychologische Kontext, wo Demütigung als ein sozialer Prozess (der die Legitimität von Unterwerfung und Machtasymmetrien betrifft), ein Prozess, der sich zwischen einem “Demütiger” und einem “Gedemütigten” abspielt (und sich damit in einer Beziehung abspielt, die zwischen Individuen oder Gruppen stattfindet) gefasst wird. Was als Demütigung wahrgenommen wird und wie darauf reagiert wird, variiert in verschiedenen Kulturen. Allgemein wird aber Demütigung als Antonym für Respekt im Rahmen von Menschenrechten, also als Verletzung von Menschenrechten verstanden. Sie wird auch häufig als Wurzel der Gewalt genannt. Es besteht sogar eine sozialpsychologische Hypothese, dass Demütigung zum Krieg führen kann (vgl. Lindner, Evelin Gerda (2005). Die Psychologie Der Demütigung. In Punktum, Fach- und Verbandszeitschrift des Schweizerischen Berufsverbandes für Angewandte Psychologie, März). Die Frage, die sich im Hinblick auf zukünftige Forschung über Demütigung aufdrängt, ist ob tatsächlich Demütigung ein Prozess ist, der auf die Verletzung von Ehre beschränkt ist. Die oben gestellte Frage konnte also erweitert werden auf die Fragestellung, ob sich Demütigung in gesellschaftlichen Kontexten von Ehre ähnlich darstellt wie in Kontexten, die von Menschenrechten definiert werden, oder ob Demütigung in diesen beiden gesellschaftlichen Strukturen unterschiedlich ausgetragen wird, – und ob Ehre und Menschenrechte die einzigen relevanten Parameter sind.)

Politik der Würde

Eine der Studien, wo Demütigung näher beschrieben wird, ist die Arbeit eines israelischen Autoren, Avishai Margalit Politik der Würde (eng.: The Decent Society). Dieses Buch wirft Licht darauf, dass Demütigung nicht nur ein Akt oder eine Emotion, relevant für das Zusammenspiel zwischen Individuen ist, sondern dass sie institutionalisiert sein kann. Margalit spricht von einer anständigen Gesellschaft, in der keine Demütigung präsent ist. Anstand meint, dass alle Menschen mit Respekt behandelt werden sollen. Kein Mensch ist durch soziale Marginalisierung oder das Verbot, seine Besonderheit zu leben, zu demütigen. Die Institutionen einer anständigen Gesellschaft demütigen nicht. Die Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung selbst ist die Grundlage der Haltung der Nicht-Demütigung, der Achtung oder Selbstachtung. Menschen verdienen qua ihr Menschsein Respekt. Würde ist nach Margalit der Ausdruck, das äußere Bild oder Verkörperung von Selbstachtung (S.72-74). Unter Demütigung versteht Margalit alle Verhaltensformen und Verhältnisse, die einer Person einen guten Grund geben sich in ihrer Selbstachtung verletzt zu sehen (Margalit: 23, 25). Dabei sind natürliche menschliche Daseinsbedingungen wie Alter oder Gebrechlichkeit ausgeschlossen. Die Natur demütigt nicht, nur die Menschen und von ihnen getragenen Institutionen. Und nur die Menschen können gedemütigt werden; die Tiere kann man grausam behandeln aber nicht demütigen.

Ein der Hauptgründe, sich in seiner Selbstachtung verletzt zu sehen ist der Ausschluss aus der menschlichen Gemeinschaft. Dazu gehört beispielsweise die Behandlung der Menschen als wären sie Tiere, Maschinen, Objekte oder Nummer (ein Paradebeispiel für alle diese Behandlungsarten sind die KZ-Lager während des zweiten Weltkriegs). Die Ausschliessung aus der menschlichen Gemeinschaft impliziert, nach Margalit, eine intentionale Freiheitsbegrenzung (von der Seite des Täters) und dadurch verursachten Verlust an Kontrollfähigkeit (für das Opfer). Margalit macht in seinem Buch eine Unterscheidung zwischen dem Begriff der Demütigung und dem der Kränkung. Während Kränkung die Vorenthaltung gebührender sozialer Ehre oder sozialer Wertschätzung meint, das Selbstwertgefühl eines Menschen angreift, dessen externer Ausdruck der Stolz ist, bedeutet die Demütigung die Verletzung der fundamentalen Ehre, die jedem im gleichen Masse gewährt werden muss, die nicht graduierbar und nicht leistungsabhängig ist (S.62-63). Demütigung, Margalits Ansicht nach, sei viel schlimmer als die Kränkung, da sie Verletzungen der grundlegenden Bedürfnissen des Menschen impliziert. Zu diesen Verletzungen gehören:

– Verletzung grundlegender Autonomie oder Kontrollfähigkeit (Verletzung der Privatsphäre durch z. B. Bespitzelung in totalitären Staaten, bestimmte Haftbedingungen, Intoleranz)

– Verletzung des Bedürfnisses nach Individualität, Besonderung oder Differenz (Vorenthaltung der Zugehörigkeit zu identitätsstiftenden Gruppen, wie religiöse, ethnische, nationale, soziale oder sexuelle Gruppen – z. B. Behandlung der Juden von den Nazis)

– Verletzung des Bedürfnisses nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit oder Staatsbürgerschaft (Klassifizierung von gewissen gesellschaftlichen Gruppen zu den Bürgern der zweiten Kategorie, Vorenthaltung der politischen und legalen Rechte z.B. des Wahlrechtes, als auch der sozialen und symbolischen Rechte wie z.B. Haftstrafen, Arbeitslosigkeit, Ausschließung aus bestimmten religiösen Ritualen)

– Verletzung des Bedürfnisses nach Intimität oder Freundschaft

– Verletzung des Bedürfnisses nach sinnvollen Tätigsein (Margalit geht so weit zu behaupten, dass die ökonomische Unnützlichkeit zur Hauptquelle der Demütigung in westlichen Gesellschaften werden kann)

– Verletzung des Bedürfnisses nach Nahrung, Obdach, Kleidung, Körperhygiene zum Beispiel in nicht selbst gewählter Armut (z.B. Behandlung der Gefangenen in KZ-Lagern)

– Verletzung des Bedürfnisses nach medizinischer Hilfe bei Krankheit

– Verletzung körperlicher Integrität durch Folter oder unmenschliche Arbeitsbedingungen (z. B. Behandlung der Gefangenen in KZ-Lagern)

Die Demütigung ist häufig ein Resultat der Überzeugung des Täters, dass seine „Opfer“ keine Menschen sind (das Phänomen der Entmenschlichung oder Verdinglichung – Axel Honneth). Dieses Denken ist für viele Kriegsverbrecher typisch z.B. Nazis gegenüber den Juden oder Serben gegenüber den Muslimen.

Demütigung in (Kultur-)Konflikten

Kann Demütigung zu Krieg, Holocaust, Völkermord und Terrorismus führen? Die von Margalit aufgelisteten Verletzungen spielen eine wichtige Rolle in der Diskussion über die Bedeutung von Demütigung für die Konflikte. Erfahrungen von Demütigung und Erniedrigung können traumatisch wirken und zu starken emotionalen Reaktionen führen. Soziale Beziehungen können so sehr geschädigt werden, dass Versöhnung fast unmöglich wird, und Unterschiede zwischen Parteien, die vorher wenig oder nicht vorhanden waren, können so verstärkt oder konstruiert werden, dass ein Brückenschlag fast unmöglich erscheint. In den meisten Kulturen stellen Gefühle der Demütigung einen zentralen Aspekt gewalttätiger Konflikte dar und behindern Konfliktlösungen. Unabhängig vom kulturellen Hintergrund reagieren die Menschen auf erlittene Demütigung mit Depression, oder auch mit Wut und Aggressivität. Gefühle von Demütigung können zu gewalttätigem Protest und zu Kreisläufen von Demütigung und Rache-für-Demütigung führen, wie zum Beispiel im dem Konflikt Hutu-Tutsi, Israelis-Palästinenser, Singalesen-Tamilen oder Irak-USA. Eine Sequenz von Demütigung und Rache-für-Demütigung ist verstärkt zu erwarten in Zeiten der Veränderung, wenn Untertanen (Sklaven, Unterdrückte, Unfreie, Unterprivilegierte, Geknebelte, Rechtlose) beginnen, mehr Respekt von ihren Eliten zu erwarten, und sich gedemütigt fühlen durch den Mangel eben dieses Respekts. Sie mögen dann versucht sein, – wenn sie Zugang zu den nötigen Ressourcen bekommen, – sich brutal an ihren früheren Herren zu rächen, die in den meisten Fällen überrascht sind, da sie eine solche Dynamik nicht erwartet hatten. Revolutionen und Aufstände bringen oft keinen Frieden, sondern mehr Gewalt. In solchen Fällen kann es passieren, dass die unterdrückenden sozialen Strukturen, die demütigend wirken, nicht verbessert werden, sondern, im Gegenteil, sich nur noch verschlimmern in einem Kontext von Krieg und Gewalt (z.B. Völkermord an Tutsi-Eliten). Die politisch relevante Empfehlung an Eliten ist deshalb, sich des Grades von Bewunderung und Hoffnung auf Respekt von Seiten der Nicht-Eliten bewusst zu werden. Und wiederum um demütigende soziale Bedingungen zu verändern, die von Machtasymmetrien aufrechterhalten werden, die Menschenrechte verletzten, muss der Untertan/Unterdrückte „aufstehen” und Autonomie ausüben (wie z.B. Nelson Mandela).

6 thoughts on “Die Omnipräsenz der Demütigung in der heutigen Gesellschaft und die Politik der Würde

  1. Demut
    Bezeichnenderweise ist mit der Ominpräsenz der Demütigung ein Verschwinden von Demut zu verzeichnen. Der Demütigende kann halt wenig demütig sein. Und ein unfreillig gedemütigter ebenfalls.

  2. Demütigung ist sicher die
    Demütigung ist sicher die Wurzel von Dauerkonflikten. Es ist ein Zeichen der Entmenschlichung des Gegenübers. Diese verletzung ist oft unheilbar.

  3. Demütigung als Einstieg in sadistisch geprägte Verhaltensmuste
    Mit niedrigem Ansehen ist doch auch häufig das psychische und körperliche Geschundenwerden verbunden. Was soll man also tun, wenn man eben gehäuft oder automatisch gedemütigt und geschunden wird? Gewalt anwenden, hinnehmen, petzen oder sich aufhängen?
    Das Gespräch mit dem Demütiger/Schänder suchen wäre vielleicht eine ganz gute Idee.

    Aber was, wenn die Demütigungen/Schändereien dadurch noch intensiviert werden?
    Kann das „Opfer“ seine (hoffentlich) gutgemeinte Objektivität aufrechterhalten und erfolgreich sein, ohne gewalttätig oder ebenso sadistisch oder sogar noch schlimmer als sein Peiniger zu werden?

    Meiner Meinung nach nur, wenn sich Aussenstehende, couragierte auf alle Fälle jedoch unvoreingenommene und am besten unparteiische und wenig von Hetzerei und Propaganda beeiflussbare Personen oder sogar Personengruppen in den Konflikt einklinken.

  4. Kommentar, welcher Rechtschreibung und Grammatik betrifft
    Ohne die Verfasserin jetzt demütigen zu wollen:
    Mag der Inhalt ihres Artikels auch interessant sein, so muss ich dennoch die dabei manifestierte Rechtschreibung und Grammatik kritisieren, welche doch etliche Fehler aufweisen.

    1. kommentar
      [quote=Thomas]Ohne die Verfasserin jetzt demütigen zu wollen:
      Mag der Inhalt ihres Artikels auch interessant sein, so muss ich dennoch die dabei manifestierte Rechtschreibung und Grammatik kritisieren, welche doch etliche Fehler aufweisen.[/quote]

      ich finde den artikel sehr gut, da mein vorgänger die fehler kritisiert, kann er sie gern mal aufzählen und dann drucken wir alles mal sauber aus.

      grüße

      atemleidenschaft.de

  5. waldphilosophen mit ouspensky und john bennett
    liebe dorota,
    daß de – mut,diese bedeutung, form hat liegt halt and der
    noch nicht erreichten stufe des menschseins ( das er -früher siehe ovid, jesus etc. ja hatte ). so haben doch auch die waldphilosophen mit ouspensky und john bennett versucht eine demut zu kultivieren die der ur-christlichen demut entspricht, also als anerkennende achtung des angestrebt höheren – was die dekant-macht-geile-geld-menschheit daraus gemacht hat ist ja bekannt-
    demut als bewußt-verzichtende übung zum innerenen wachs-
    tum – vergleichend mit einem tieferen dscharklom die wirkliche Seins-Partkdolg-Pflicht ( bewußte arbeit und
    absichtliches aufopferndes leiden ) erfüllend, das ist dann demut im positiven sinne die versöhnend auf das negativ-planetarisch negative heilend wirkt.
    wären wir nur alles so positiv demütig, wäre die welt sofort gerettet – so einfach ist das – dann hätte das beispiel von menschen wie jesus seine sinn gehabt – und
    wenn die menschen den geist über sich kommen lassen braucht der große chef ja auch nicht selber sich wieder sichtbar machen – wir haben alle all und alles in uns.
    wir müssen den menschen in demut zeigen daß gut sein gut
    ist und für alle besser- denn doch keiner der schlecht ist fühlt sich auch rundrum-richtig gut oder gar glücklich – denen müssen wir helfen.
    schöne zeiten
    in
    allen zeiten
    gerne höre ich dazu
    richard

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