Einkaufen als Erlebnis

Die Prototypen der heutigen komplexen Einkaufszentren sind die Einkaufspassagen des 19. Jahrhundert und die späteren Warenhäuser und Galerien. Einkaufzentren Kaufhäuser, und Passagen sind alle komplexere Gegenstände des Erlebens. Während die Faszination des Kaufhauses in der Vielfalt von Waren und Marken in einem Hause liegt, wird beim Einkaufszentrum Konsumieren zum Freizeiterlebnis. Die räumliche Konzeption und Gestaltung des Einkaufzentrums verbindet bummeln, sehen, kaufen, vergnügen, erholen, essen und trinken in einer in sich geschlossenen, künstlichen Erlebniswelt. Die Gestaltung knüpft dabei meistens an frühere oder heute noch funktionierende Situationen überschaubarer, geschlossener und intakter lebensweltlicher Zusammenhänge an, wie z.B. das Dorf, mediterrane Märkte oder orientalische Basars.

Einkaufen ist ein Ereignis, das die Erlebnisorientierung der Gesellschaft per se verkörpert – diese ist Mittel zum Zweck, da man sich heutzutage Erlebnisse kaufen kann, und sie ist ein Zweck an sich, da das Einkaufen selbst zum Erlebnis wird. Shopping ist eine ziellose, unterhaltsame Tätigkeit, die nicht im Erwerb der bestimmten dringend benötigten Waren besteht, sondern mehr in Preis-, Qualität- und Stilvergleich, ebenso wie in zwischenmenschlichen Kontakten. Einkaufen ist zu einer Freizeitbeschäftigung geworden. Es bedeutet immer mehr Lebenslust und Verhinderung von Langeweile. Einkaufszentren, Malls und Passagen werden nicht nur Walhallas des Erlebniskonsums, sondern auch Fluchtburgen für Menschen, die der Langeweile und Vereinsamung entfliehen wollen.

Wie Herbert Marcuse in seinem Buch „Der eindimensionale Mensch“ postuliert, gestatte sogar dränge der Kapitalismus die Gesellschaftsmitglieder, ihr sinnliches Glück in Konsum zu suchen (Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Neuwied, Berlin 1967, S. 95). Unsere Generation scheint zum Kaufen geboren zu sein („born to shop“). In den Zeiten, wo eine Transformation des Einkaufsverhaltens in das Freizeitverhalten erfolgt, wo Shopping zur Unterhaltung wird, wächst das Einkaufszentrum zum

[quote] „realen postmodernen Ort des glücklichen Bewusstseins“ (A. Kroker A. & D.Cook , The postmodern scene, New York 1989, S. 208). [/quote]

Einkaufsoasen

Das heutige Einkaufszentrum ist ein Paradies auf Erden. Hier gibt es alles, was das Herz begehrt, hier gehen alle Wünsche in Erfüllung. Beim Betreten eines Warenhauses wird man nicht nur von dem reichen Angebot der Güter überwältigt, sondern auch von der meistens prächtigen Innenarchitektur und der phantasievollen Gestaltung der Anlage. Die Warenhäuser wie beispielweise Printemps in Paris, Harrods in London, Magna Plazza in Amsterdam, oder Einkaufszentren wie Galleria Vittorio Emmanuele II in Mailand, Quartier 206 in Berlin oder Horton Plaza in San Diego sind selbst geradezu Meisterwerke und manchmal auch Kuriositäten der Architektur. Der Besuch dieser Orte ist selbst, wenn man nichts kauft, ein Erlebnis. Diese Einkaufsoasen lösen sich häufig von ihrem Angebot und dadurch von ihrer ursprünglichen Funktion auf und werden zu unabhängigen „Sehenswürdigkeiten“, zu einer Art moderner „Kathedralen“ oder auch zu Schauplätzen, wo verschiedene Shows und Themenveranstaltungen angeboten werden. So veranstaltet z.B. die Galerie Schloss in Berlin jede Woche eine andere thematische Reihe von Attraktionen.

Wie dieses Beispiel zeigt wird das „Erlebnisshopping“ auch in Deutschland immer beliebter und immer mehr betrieben. Das typische Einkaufszentrum wächst in Größe und Anzahl zusätzlicher Angebote wie Gastronomie, Dienstleistungen, Kinos und Live-Events. Dennoch können wir uns bisher noch keine Vorstellung darüber machen, welche Ausmaße Erlebnis und Konsum in den USA bereits angenommen haben.

Malls als besondere Art von Einkaufszentren

Die in den USA verbreitetste Form dieser Verbindung von Shoppen und Erleben stellen die so genannten Malls dar. Das Wort Mall bedeutet eine schattige Promenade, ein Spazierweg mit spezifischer gestalterischer und sozialer Prägung und steht für wesentlich mehr als ein Passagenkaufhaus mit zusätzlichen Dienstleistungen.

Die besondere Art von Malls sind die Mega-Malls, die sich von den anderen Einkaufszentren durch Grösse und Komplexität, sowie durch die Integration von kommerziellen Freizeiteinrichtungen unterscheiden. In Amerika gibt es 45.721 Einkaufszentren. Die erste Mall wurde 1920 in Kansas City gebaut. Seit dem sind hunderte neue Malls und Mega-Malls im ganzen Land entstanden. Inzwischen haben sie sich zur dominierenden Verkaufsform in Amerika entwickelt. Die grossen Einkaufszentren machen mehr als 50% des Gesamtumsatzes der Einzelhandelsgeschäfte. Es wird sogar vom Phänomen „Malling of Amerika“ (W.S. Kowinski, The malling of America, New York 1985) gesprochen.

Die Malls scheinen eine angemessene Reaktion auf moderne Lebens- und Konsumstile zu sein. Sie stellen eine funktionale und bauliche Konkretisierung für den generellen Trend dar, dass in der individualisierten Freizeitgesellschaft Funktionen wie (Erlebnis-) Handel, (Erlebnis-) Gastronomie und Freizeit (Freizeitkonsum) unter dem Leitthema Kommerzialisierung zusammenwachsen. Diese Mischung von Freizeit, Kultur und Gastronomie erzeugt eine enorme Gesamtattraktivität. Man bekommt das so genannte „whole package“. Deshalb sind die Malls zum Synonym für Modernität und Wirtschaftserfolg geworden. Die Besucher finden alles was sie brauchen unter einem Dach gesammelt, was ein sehr gelungenes Konzept zu sein scheint.

Gestaltungsprinzipien der Malls

Die Mall ist ein amerikanisches Phänomen, das sich aber schnell auf andere Länder der Welt verbreitet hat. Obwohl das Mall-Konzept manchmal in kulturell sehr unterschiedliche Landschaften eingepflanzt wird, weist es eine relativ große Standarisierung auf. Alle Malls haben die gleichen Wesensmerkmale: Sie zeichnen sich vor allem durch ihre Größe und ihre Komplexität und die Integration von kommerziellen Freizeiteinrichtungen aus. Es gibt einige universelle Gestaltungsprinzipien, die in allen Malls unabhängig vor der geographischen Lage gelten. Egal wo man sich befindet, trifft man immer auf einen Leitbetrieb (Großkaufhäuser), Ladenzeilen, Fußgängerzonen und einen Parkplatz. Neben den zahlreichen Geschäften treten diverse Dienstleistungen auf wie zum Beispiel: Fitnessclubs, Schwimmbäder, Kosmetik- und Haarstudios, Optiker, Zahnarztpraxen, auf jeden Fall Imbissstände, Restaurants, Bars und sehr häufig auch Kinos, Spielplätze, Discotheken, Kindergärten, Kunstgalerien, Konzerthallen, Versammlungsräume. Dabei wird das gesamte Angebot einer Mall entsprechend stilisiert. Meistens erinnert ihre Struktur an städtische Organisation. Die Simulation der Stadt erfolgt durch Verbindung solcher Elemente wie Natur, Architektur, Geschichte und soziale Beziehungen. Die Malls sollen Stadtgefühle und Stadterinnerungen evozieren, und das gelingt ihnen durch Zitieren solcher Stadtelementen wie Symmetrie- und Achsenbildung, zentrierende, gelenkbildende Plätze mit Begegnungs- und Rekreationsfunktion, Straßendimensionen. In der Mall tragen die Einkaufsalleen häufig eigene Namen.

Außerdem gibt es bestimmte Design-Prinzipien und Charakteristika, die man in fast allen Malls wieder findet. In der Gestaltung der Räumlichkeiten herrscht meistens der gleiche Stil vor: Marmorglanz vermischt mit Art Deco-Messingschmuck, Schnörkel, Wasserspiele, künstliche Bäume. In der Regel stellen aber die Malls ein Collage von unterschiedlichen architektonischen Stilen und Design-Formen dar. Hier machen sich die Einflüsse aus verschiedenen Epochen und Kulturen bemerkbar. Historische Elemente koexistieren mit futuristischen Visionen, Natur mit Zivilisation, Stadt mit Land. Űber alles dominiert aber die Selbstdarstellung des Marktes als schöner Garten, als Promenade, die mit ästhetischen Eindrücken verbunden ist. Sehr beliebt sind so genannte „theme-worlds“ – räumlich differenzierte Sektoren der Mall, die als thematisch kohärente virtuelle Realitäten gestaltet sind, wie man es aus Disneyland kennt. In der West-Edmonton-Mall in Alberta, Kanada wurde beispielsweise der Pariser Arc de Triomphe, eine Bourbon Street aus New Orleans und ein künstliches Meer nachgebaut, ein erster gelungener Versuch, Einkauf mit Freizeit und Unterhaltung zu verknüpfen.

Die ungewöhnliche Gestaltung der Mall ist die Antwort auf den Versuch, die ganze Welt ins Innere eines Raumes zu bringen, der Versuch, die Zwänge von Zeit, Ort und Form aufzuheben. In der Mall treffen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Modernität und Geschichte erscheinen gleichzeitig. Die Mall verbindet das Alte und das Neue, das Vertraute und das Ungewohnte. Dadurch wird der Effekt erzeugt, dass die Besucher sich wie zu Hause fühlen, gleichzeitig aber sich immer für etwas Neues begeistern können.