Irgendwann hatte Arnold, mein Kollege vom Entwicklungsdienst, der auch bei der Entwicklungshilfe arbeitet, die Nase voll. Er ist übrigens derjenige, von dem ich am meisten Unterstützung bekomme, konstruktiv, konkret, verlässlich. Das ist sehr angenehm in diesem Land. Wie gesagt, er wollte nicht mehr ständig nur Anrufe wegen diesem oder jenem bekommen, sondern die finanziellen Absprachen besser und möglichst abschließend klären. Dafür hatte er ein Treffen anberaumt. Zum Beispiel sollte auch über den Vertrag von Einnullah geredet werden.
Irgendwann hatte Arnold, mein Kollege vom Entwicklungsdienst, der auch bei der Entwicklungshilfe arbeitet, die Nase voll. Er ist übrigens derjenige, von dem ich am meisten Unterstützung bekomme, konstruktiv, konkret, verlässlich. Das ist sehr angenehm in diesem Land. Wie gesagt, er wollte nicht mehr ständig nur Anrufe wegen diesem oder jenem bekommen, sondern die finanziellen Absprachen besser und möglichst abschließend klären. Dafür hatte er ein Treffen anberaumt. Zum Beispiel sollte auch über den Vertrag von Einnullah geredet werden.
In der Zusammenarbeit verschiedener Hilfsorganisationen passiert es immer wieder, dass jede meint, die anderen sollten froh sein, dass die eigene Organisation überhaupt etwas tut oder bezahlt. Der Entwicklungsdienst meint z.B., dass es doch toll ist, dass sie einen deutschen Facharbeiter plus Übersetzer stellen. Ein Geschenk sozusagen. ZIM gibt Geld für meinen Workshop und erwartet von NGE, dass sie die Infrastruktur stellen. Das Geld (übrigens in der Tat sehr viel) ist ebenfalls ein Geschenk.
Und NGE erwartet von ZIM und Entwicklungsdienst, dass sie den kompletten Workshop finanzieren, samt allen Nebenkosten. Sie haben im Grunde kein eigenes Geld und empfinden sich nur als ausführendes Organ. Alle wollen sie aber den Workshop für sich vermarkten und alle empfinden sich als Geber für andere Leute. Das waren die Vorzeichen für unser Gespräch. Karl Anders kam nicht, hatte auch nicht abgesagt. Also waren wir zu viert.
Said Machmat legte einen Finanzplan für die bereitgestellten 11.500,- Dollar vor, den allerdings ich geschrieben hatte und der nur ein Entwurf sein sollte. Ursprünglich wollte ich mir damit nur selbst einen Überblick verschaffen und anhand dieses Planes Mir Rachim fragen, wieso er meint, für die Bezahlung der Lehrlinge für die Arbeit an dem Container sei kein Geld da.
Ich hatte auch in einer überarbeiteten Fassung nicht die ganzen 11.500 Dollar erreicht, deshalb hatte Said Machmat noch die Kosten für einen Wächter und einen der Köche mit auf die Liste gesetzt. Für Einnullah, meinen Co-Teacher waren ebenfalls 265,- Dollar für 4 Monate angesetzt, ebenso für die Bezahlung der Lehrlingsarbeit an dem Container. Ich hatte sogar Kosten für meinen Transport von Kabul nach Hezarak eingeplant und Geld für das Büro von NGE, alles nicht zu knapp.
Dieser Plan lag also auf dem Tisch. Mir Rachim und Said Machmat hatten noch einige Bitten: Ob ZIM vielleicht zusätzlich den Co-Teacher bezahlen könne. Und vielleicht den Koch. Und dann fragten sie, ob ZIM, wie einmal abgesprochen, die Kosten für zwei Klassenräume für mich bezahlen könnten. Die wären doch frühestens fertig, wenn ich gehe, meinte Arnold.
Ja, es hätte halt Schwierigkeiten mit dem Besitzer des Hofes gegeben. Und in dem neuen Vertrag mit dem Besitzer würde jetzt drin stehen, dass sie zwei Klassenräume bauen. Deshalb bräuchten sie das Geld. Ich dachte, na ja, von den 11 500,- Dollar werden soviel übrig bleiben, die können sie doch dann gut nehmen für die Klassenräume. So teuer sind die schließlich nicht, vielleicht 200,- $ pro Raum, vielleicht auch 400. Deshalb fragte ich, nachdem Arnold schon mehr oder weniger erstaunt abgelehnt hatte, um welche Summe es sich denn handeln würde. 6000,- Dollar meinte Said Machmat, es sollten zwei richtig gute Räume werden, aus Beton. Der ganze Hof ist aus ungebranntem Lehm, mein jetziger Unterrichtsraum ein Loch, die Werkstatt die meiste Zeit ohne Ofen, nur mit Plastik abgetrennt und jetzt, wo es warm wird und ich nicht mehr da, brauchen sie Geld für zwei richtig gute Räume.
Ohne zu sagen wofür, warum, wozu. „Die Ausbildung soll fortgesetzt werden“, sagt Said Machmat. Mit wem? Welchen Lehrlingen, welchem Lehrer, welchen Ausbildungsinhalten? Tatsache ist eigentlich nur, dass ich dann nicht mehr da bin, um die Verwendung der Gelder zu überprüfen.
Ich fragte auch, was mit den Fenstern geschehen soll, die jetzt im Rahmen des Workshops gebaut worden sind. Die wolle er aufheben, als gutes Beispiel für die demnächst wieder anlaufende Produktion von Fenstern und Türen, ein halbes Jahr oder besser ein Jahr. Achtzehn Türen, dreißig Fenster. ‚Warum sagt er nicht gleich, er will ein Haus bauen?’, dachte ich.
Mir Rachim war sehr verärgert, als er ging. Er hatte nichts von dem bekommen, was er wollte. Obwohl ich dabei war und ihm -als gutem Freund- hätte helfen können. Das irre daran ist, dass sie wirklich nicht verstehen, warum ZIM all das nicht zahlen will. Hochintelligent, gut ausgebildet, aber eine ganz andere Kultur.
In der darauf folgenden Woche sitze ich mit Said Machmat bis spät in der Nacht zusammen und wir reden lange über dieses Gespräch. Ich versuche sehr vorsichtig zu sein und erkläre zuerst, dass ich von all diesen Dingen sicherlich weniger Ahnung habe, als er. Schließlich ist es das erste Mal, dass ich im Ausland arbeite. Er ist aber ganz offen und bittet mich um meine Meinung.
So versuche ich ihm zu erklären, dass er die Arbeit von NGE wie ein Produkt anbieten müsse, wenn er Geld wolle. Wenn er in einen Laden kommen würde und der Verkäufer bittet ihn freundlich um 1000 Afghani ohne zu sagen wofür, würde er vielleicht auch nichts bezahlen wollen. Es müsse für ZIM zum Beispiel klar werden, warum diese zwei Klassenräume, die NGE bauen will, genau in ihr Programm passen. Dafür ist es auch wichtig zu wissen, in welchem Rahmen Geldgeber arbeiten, um sich auf sie einstellen zu können.
Warum denn die Klassenräume so teuer gebaut werden sollten, frage ich ihn. „Na ja“, meint er, „das war sozusagen unser erstes Angebot. Wir dachten, dass wir über die Summe dann noch verhandeln können.“ Dass er die Fenster und Türen, die in meinem Workshop gebaut wurden, aufheben wolle als gutes Beispiel, habe er jedem gesagt. Auf diese Fenster und Türen seien ganz viele Leute scharf. Er wolle aber genau gucken, wer wirklich bedürftig sei und bis dahin bekommen alle diese Erklärung zu hören.
Sie hätten auch nicht den Lohn für Einnullah und den Koch zweimal gewollt. Schön war, dass er mir glaubhaft versichern konnte, dass er zwar schon sehr lange mit ausländischen Organisationen zusammenarbeitet, aber sich bisher noch nie mit einem Europäer so verständigen konnte und so ernst genommen gefühlt hat, wie mit mir.
Ich bin auch wegen mir froh, mit ihm geredet zu haben. Es gibt eine Entwicklungsdienst-interne Untersuchung, dass die Mehrzahl der Entwicklungshelfer mit mehr rassistischem Gedankengut als vor ihrer Abfahrt von ihrem Auslandseinsatz wieder zurück kommen. Im Grunde ist das natürlich ein weit verbreitetes Phänomen. Auslandsdeutsche sind oft besonders deutsch und besonders stolz auf ihre Kultur.
Ich glaube, in der Konfrontation mit der fremden Kultur erlebe ich zuerst, dass mein Gegenüber meine Werte nicht akzeptiert oder lebt. Für mich sind meine Werte aber eine Grundlage für mein Denken, für meine Bewertungen, für meine Vorstellungen von gut und böse. „Das sind doch alles Halunken“, dieser Gedanke ist dann die logische Folge.
Zumindest eben, solange ich nicht die Werte und Normen kennen- und verstehen gelernt habe, die an die Stelle dessen treten, was ich im fremden Land verloren glaube. Würde Said Machmat nicht seine Position auch nutzen, für Verwandte und Bekannte zu sorgen, er könnte sich in dem Gebiet von Hezarak nicht mehr sehen lassen. Würde er doch grundlegende Traditionen des gegenseitigen Versorgens brechen und allen zeigen, dass er an einer Freundschaft kein Interesse hat.
Inzwischen habe ich ähnliche Erlebnisse schon oft gemacht. Das fängt an mit dem alten Khalid, der ein steifes Bein hat und dessen hauptsächliche Arbeit für NGE daraus besteht, die vorgeschriebenen Gebetszeiten ausgiebig einzuhalten und ein Verwandter von Mir Rachim zu sein. Stolz hatte er mir einmal erzählt, dass er auf die Frage, was er denn eigentlich genau bei NGE tun möchte, nur geantwortet hat: Geld verdienen. „Ist doch wahr“, hatte er gesagt: “ich habe so viele Kinder, ich bin hier, um Geld zu verdienen.“
Dieser Khalid also hatte mich gebeten, einen kleinen Hocker für ihn zu bauen, weil er hier auf dem Gelände immer so Schwierigkeiten hat beim Beten wegen des Beines. Wie für alle, sagte ich ihm, müsse er aber das Holz bezahlen, 40 Afghani, also etwa 90 Cent. Weil er und die übrigen, die um mich herum standen, wie bei solchen Gelegenheiten so entsetzt und traurig guckten, meinte ich: „Okay, I will pay this money. It’s a gift from me”. Am Wochenende sah ich ihn, wie er diesen Hocker einpackte und mit nach Hause nahm. Die Woche darauf wollte er noch einen gebaut haben. Diesmal guckte ich sehr traurig, und er ließ von diesem Verlangen mir gegenüber ab. Als ich einen Tag mal nicht mit auf dem Gelände war, war dieses Bänkchen auch schon gebaut. Steht jetzt im Baderaum, keinem ist’s aufgefallen, keiner hat’s gebaut (er selbst bestimmt nicht).
Mr. Khalid hatte noch eine andere Idee: Ob ich für seinen Sohn nicht aus Deutschland eine Fußprothese zuschicken lassen könnte, die Deutschen seien so gut. Ich habe eher gar nichts darauf geantwortet. Samea wusste zum Glück, wie viel die ungefähr kostet (Khalid sicher auch) und rechneten das für die anderen aus.
Samea, der das von Khalid sehr unhöflich fand, hatte mich zwei Wochen zuvor auf Hühnerfarmen angesprochen. Sie würden im Gebiet von Hezarak Hühnerfarmen fördern, das sei eine gute Möglichkeit für arme Leute. Ich könnte gerne mal mitkommen, mir so einen Hof ansehen. Ob es für den Entwicklungsdienst oder für ZIM eine Möglichkeit gäbe, das zu fördern? Ich bin also zu ZIM und sie haben tatsächlich ein Kleinkreditprogramme für solche Fälle, aber eigentlich nur für Kabul. „Mal sehen“, meinte der zuständige Afghane, „vielleicht ist dafür eine Ausnahme möglich.“ Und gab mir ein Antragsformular mit. Als ich mit diesem Formular zu NGE kam, wollten gleich drei Leute einen Antrag stellen. Ob ich nicht noch mehr Formulare besorgen könne? Ich bat sie, das eine Formular doch bitte zu kopieren. (Das machten sie dann auch, aber ZIM akzeptierte nur das Original).
Kaum hatte Samea das Formular, erklärte er mir ganz offen, dass er sich freue, für einen seiner Söhne nun eine Möglichkeit zu haben. In diesen schwierigen Zeiten wäre es immer gut, wenn man möglichst viele Einnahmequellen hat. Als er mein entsetztes Gesicht sah, meinte er entschuldigend: „Wer weiß, wie lange ich noch bei NGE arbeiten kann. Bei den NGO’s kann es von heute auf morgen heißen: Wir stoppen leider sofort das Programm, an dem wir gerade arbeiten.“
Das hatte ich in der Tat auch selbst schon erlebt: Haschir, der nette Hazara und Veterinärarzt, war tatsächlich gekündigt worden, zwei Wochen vor Monatsende. Vielleicht können wir noch verlängern, hieß es. Am letzten Tag war dann klar: Nein, es geht nicht. Ich war total froh, ihn eine Woche später doch wieder zusehen: Mir Rachim hatte seien Vertrag tatsächlich verlängert. Aber am selben Tag wurde er endgültig gekündigt: Matthias, der holländische Chef von NGE sagte, es gäbe kein Geld für einen Tierarzt . UNHCR habe diesen Teil des Programms gestrichen.
— Gerade werde ich umringt von Afghanen, die unbedingt wissen wollen, was ich schreibe, vor allem, ob ich über sie schreibe. Eine Stunde zuvor war es Hermid, der mich das Gleiche fragte. Das ist ein komisches Gefühl, wenn eine Gestalt meines Schreibens so plötzlich vor mir steht und mich fragt, ob ich sie da auf dem Papier noch mal erschaffe. Da wird der Mensch vor mir plötzlich zu Linien auf dem Papier oder diese Linien auf dem Papier werden plötzlich zu einem realen Menschen, der mich anspricht. Ob ich besser nicht über ihn schreibe, fragte ich . „Schreib halt“, meinte er.Das ungute Gefühl bleibt, dass ich die Macht habe, ihn zu verändern, ihn zu beschreiben, wie ich das will.—
Von anderer Seite bekomme ich zusätzlich böse Geschichten über NGE erzählt: Die Ärzte würden hauptsächlich in zwei Dörfern arbeiten, dem Heimatdorf von einem Mitglied des Medizin-Teams (der gar nicht Arzt ist, wie ich dachte, sondern (mal wieder) hauptberuflich Verwandter von Mir Rachim sei) und einem zweiten Dorf, das in der Nähe liegt. Viel würden sie sowieso nicht arbeiten. In dem Tadschiken-Dorf Karam, dem größten Dorf des Gebietes, wären sie fast nie (ich sah sie dort allerdings schon).
Als jemand von der UNHCR zum Controlling kam, hatten sie dicke Rundhölzer besorgt und über all die dünnen Hölzer gelegt, die sie sonst verteilen. Kaum war der Mensch von UNHCR, sehr zufrieden, weg, sei der Bruder von Said Machmat gekommen und holte die wertvolleren Hölzer für den eigenen Hausbau.
Einer sah, wie zwei Wächter Weizen aus dem Hilfsprogramme aufluden und dem Fahrer erklärten, wo ihre Häuser seien. Einmal kam ‚ein Fremder’ und sagte zu einem Afghanen, dass er sich mehr Mühe mit den Fenstern geben solle, immerhin bekäme er 1200 Afghani für ein Fenster. 300 Afghani bekam er tatsächlich von NGE. Said Machmat bat mich, vier kleine Regale für die Räume der Ingenieure bauen zu lassen für Bücher und dergleichen.
Wenn es etwas für den NGE- Hof ist, dann braucht das Holz natürlich nicht bezahlt zu werden. Als die Regale fertig waren und ich sie anbringen lassen wollte, hieß es: „Nein, bitte bring sie erst später an!“ Das ist mittlerweile schon drei Wochen her und mir schwant, dass da jemand nur die 80 Afghani sparen wollte für Regale für sich zu Hause.
Bei einigen Sachen weiß ich natürlich nicht, ob die so stimmen. Und manches entlarvt sich schon beim näheren Nachfragen als Übertreibung. Wer weiß, ob der fremde Herr (wahrscheinlich UNHCR) richtig übersetzt wurde, oder vielleicht hatte er nur den Preis im Kopf, den NGE für die Fenster bekommt. Und ihre Kosten und das Holz sind da mit drin. Außerdem kommt noch viel in Hezarak an. Der, der mir die Geschichte mit den Rundhölzern erzählte, konnte immerhin sein Haus mit diesen Hölzern wieder aufbauen (den dünneren halt), wie viele andere auch. Wer hier die Unterschlagungen radikal bekämpfen wollte, müsste NGE im Grunde die Lizenz entziehen, ein Haufen Leute entlassen und die Menschen von Hezarak alleine lassen.
Eine deutsche Kollegin meinte dazu: Im Grunde musst du die Leute vorher ganz lang und genau prüfen. Und selbst dann kann sich die Geschichte schnell verändern. Wenn eine NGO einmal in die falsche Richtung läuft, ist es sehr schwierig, da entgegen zu wirken. Eigentlich kannst Du nur die Gelder sperren. Und damit triffst Du hauptsächlich die, die am untersten Ende der Kette sind, denen du helfen wolltest.
Die holländischen Verantwortlichen von NGE waren bei solchen Problemen wenig hilfreich. Als ich die Geschichte mit dem Essensgeld für meine Azubis ansprechen wollte, meinte der NGE- Verantwortliche für Kabul zu mir: „Dann müssen wir halt den Koch entlassen!“ Das war mit Sicherheit die falsche Stelle und ich dachte: ‚Also, wir brauchen darüber auch nicht miteinander reden.’ (Das stimmte so auch wieder nicht. Zum Ende meiner Zeit in Afghanistan hatte ich mit ihm ein ganz gutes Gespräch genau über diese Dinge.) Die Sägespäne, die meine Lehrlinge nicht mit nach Hause nehmen dürfen, werden weiterhin lustig von den Ingenieuren abtransportiert. Obwohl der NGE- Boss drüber wütend war und etwas von einem Ofen für Sägespäne erzählte und zu hohen Kosten für Brennholz, dass aus Pakistan gekauft wird. Und es dabei belässt. Dann braucht er es auch gar nicht erst anzusprechen. Und Zeit hätte er, sich einmal stichpunktartig um eine Sache richtig zu kümmern: Wo geht das Geld hin, wer nimmt jenes mit?
8. März