Said Machmat kommt erst am nächsten Morgen. Kurz bevor wir losgehen müssen, erreiche ich ihn. Er sagt mir, dass ich selbstverständlich gehen kann, das sei doch meine Entscheidung, ich wäre doch Projektleiter. Na ja, denke ich, immerhin hieß es bis jetzt immer, nicht ohne Begleitung.
Said Machmat kommt erst am nächsten Morgen. Kurz bevor wir losgehen müssen, erreiche ich ihn. Er sagt mir, dass ich selbstverständlich gehen kann, das sei doch meine Entscheidung, ich wäre doch Projektleiter. Na ja, denke ich, immerhin hieß es bis jetzt immer, nicht ohne Begleitung.
Mit meinem Übersetzer und fünfzehn Auszubildenden laufe ich gegen Mittag los, wieder Richtung Karam, so wie in der Woche vor Aid. Diesmal ist der Himmel bedeckt und es schneit ein klein wenig. In Karam werden wir vor einer dieser Wehrburgen von den Verwandten von Zainulabuddin begrüßt. Zainu ist übrigens für afghanische Verhältnisse ein noch sehr junger Bräutigam, etwa 21 Jahre alt. Die Männer sind oft um die 30 Jahre, wenn sie heiraten, die Frauen oft zehn Jahre jünger. Wenn eine Frau mit Anfang Zwanzig noch nicht verheiratet ist, wird es für die Eltern langsam schwierig, einen Mann für sie zu finden. Alle denken, da ist irgendein Makel an ihr, sonst wäre sie längst verheiratet.
Innerhalb dieser Burganlage gibt es Mauern, die einzelne Viertel und kleinere Innenhöfe voneinander trennen und eine ganze Menge verschiedener Bauten, Zimmer, Kammern und Schuppen. Wir werden zu einer Hütte geführt, die, wie die meisten, mit dem Rücken zu der Wehrmauer (etwa dreieinhalbe Meter hoch) gebaut ist. Vor diesen Räumen ist eine Freifläche, auf der etwa dreißig Jungen gerade Essen bekommen. Wir ziehen in einem kleinen Vorraum unsere Schuhe aus und nehmen Platz in einem dieser fast gar nicht möblierten Zimmer. An der Wand hängt eine geschmückte Uhr als einziger Wandschmuck, wirklich nur als Schmuck, denn sie geht nicht. Alles ist aus Lehm, die Decke und die Fensteröffnungen werden durch Balken gebildet.
Wir sitzen auf Matten. Zu unserer Unterhaltung versuchen sie, einen Kassettenrecorder mit einem eigens herbeigetragenen Generator (der zum Glück vor der Tür bleibt) in Gang zu bringen, aber die abenteuerlichen Leitungen sind nicht gut genug für einen kontinuierlichen Strom. Wenn die Musik mal für zwei Minuten hintereinander zu hören ist, dann nur mit veränderlicher Geschwindigkeit. Derart in Stimmung versetzt, gibt es Essen und auch der Bräutigam erscheint.
Zu meiner Verwunderung ist er gar nicht so dolle herausgeputzt wie jener auf meinem ersten Hochzeitsessen und auch das Essen ist eher mager. Da es nur für uns vom Schreinerkurs ist, denke ich, dass es vielleicht für die Verwandten in einer der anderen Hütten besseres Essen gibt. Nach dem Mahle wird Abdul auf aufgeschichtete Kissen gesetzt und es wird ihm eine zweite Uhr (die noch wunderlicher geschmückt ist als die zuerst beschriebene direkt über ihm) umgehängt. Zudem macht er noch ein völlig trauriges Gesicht, als wolle er am liebsten gleich heulen. Ich darf ihn aber fotografieren, es sieht einfach zu komisch aus. Bislang wusste ich nur, dass die jungen Frauen sich am Tage ihrer Hochzeit auf keinen Fall freuen dürfen, weil sie doch das Haus ihres Vaters verlassen.
Ich versuche mein Geschenk, ein Streichmaß (ein Schreinerwerkzeug, eines der drei Werkzeuge, die aus meinem Besitz sind und nicht dem Entwicklungsdienst gehören) möglichst unauffällig Zainu zu übergeben. Das geht ganz gründlich schief, denn als ich aufstehe, herrscht augenblicklich Stille und volle Aufmerksamkeit. So bleibe ich –durch die anderen jungen Verwandten von Zainu (natürlich nur Männer) aufgehalten- mitten im Raum stehen und gebe ihm unter Applaus mein Geschenk.
Es wird laut gemutmaßt, wie viel es wohl wert ist: 100 Dollar? 50 Dollar? Und einer meint, genau wie erwartet: Dann heirate ich auch. Ich antworte ihm: „Das sage ich Deinem Vater („Deiner Braut“ darf ich natürlich nicht sagen), dass Du nur wegen einem Schreinerwerkzeug heiraten willst.“ Alles lacht, noch mal Glück gehabt.
Dann werden wieder umfangreiche Versuche mit dem Kassettenrecorder veranstaltet. Als das so gar kein Ende nimmt, schwant mir langsam, dass diese Versuche vielleicht dazu dienen, nicht arbeiten zu müssen. Mein Übersetzer ist mir da keine große Hilfe, weil, wie immer, sehr parteiisch zu seinen Gunsten. Ich frage leise Einnullah, meinen Co-Teacher, wann wohl Zeit sei zu gehen, auf Dari. Die anderen bedrängen ihn sogleich, laut zu sagen, was ich ihm zuflüsterte und der Idiot macht das auch. Sehr peinlich und ich weiß immer noch nicht, was ich tun soll. Immerhin habe ich auf der letzten Hochzeit von einem kleinen Jungen sofort nach dem Essen zugeflüstert bekommen: Jetzt musst Du gehen! Und auch die anderen gingen sofort nach dem Essen. Das ist wohl eigentlich üblich.
Inzwischen kommt der Kassettenrecorder etwas regelmäßiger in Gang und meine Aufbruchsversuche werden mit dem Hinweis beschwichtigt, jetzt werde ein bisschen getanzt und danach könnten wir ja gehen. Die meisten wollen aber bleiben, weil es sich nicht lohnen würde, noch einmal zum Hof zu laufen und dann anderthalb Stunden später wieder zurück nach Hause (viele kommen aus Karam oder seinem Nachbarort).
Sadat, mein Übersetzer, der auch bleiben will, fragt mich: „Und was ist Deine Entscheidung?“ ohne auch nur den geringsten Zweifel daran zu lassen, was die richtige Entscheidung sei. Ich soll dann immer sofort und jetzt entscheiden.
„Gut“, sage ich, „alle die bleiben wollen, können das, weil es wirklich weit ist. Ich notiere mir, wer das ist und wenn das Wetter wieder besser ist, wird an drei Tagen je eine halbe Stunde nachgearbeitet.“ Plötzlich taucht noch ein Arzt mit einem der Fahrer auf, der wohl in der Nähe zu tun gehabt hat und auch kurz hereinschauen will. Beide bekommen noch Essen nachgereicht und danach soll es losgehen, wieder zum Hof. Ich will ihn sofort um Hilfe bei meinen Entscheidungen bitten, aber er ist ziemlich stur der Meinung, dass er sich da keinesfalls einmischen muss. Also bleibt es bei meiner Entscheidung und die Hälfte der Leute kommt dann noch mit zurück, mit dem Auto.
17. Februar