Mitte März war ein hoher schiitischer Feiertag. Der war ein bisschen heikel, weil die Schiiten eine Minderheit in dem ansonsten mehrheitlich sunnitischen Afghanistan sind und dieser Feiertag irgendwie eine Erinnerung an einen Krieg zwischen den Glaubensrichtungen ist. Prompt gab es bei uns hier auf der Kreuzung auch eine kleinere Schlägerei zwischen Jugendlichen beider Gruppen. Ganz in der Nähe ist übrigens auch noch eine Moschee der Ismaeliten, die wiederum eine schiitische Abspaltung sind.
Mitte März war ein hoher schiitischer Feiertag. Der war ein bisschen heikel, weil die Schiiten eine Minderheit in dem ansonsten mehrheitlich sunnitischen Afghanistan sind und dieser Feiertag irgendwie eine Erinnerung an einen Krieg zwischen den Glaubensrichtungen ist. Prompt gab es bei uns hier auf der Kreuzung auch eine kleinere Schlägerei zwischen Jugendlichen beider Gruppen. Ganz in der Nähe ist übrigens auch noch eine Moschee der Ismaeliten, die wiederum eine schiitische Abspaltung sind.
Mohammad, selbst Sunnit, stand tagsüber draußen vor der Tür, schaute den Massenansammlungen vor der kleinen schiitischen Moschee zu und sagte nachdenklich zu mir: „Das ist nun alles 1300 Jahre her und wir wissen eigentlich alle nicht mehr so richtig, wer von uns Recht hat mit seiner Darstellung der Geschichte.“
Ich glaube, der dritte Imam war es, der auf dem Weg zu einer Stadt, in der seine Anhänger lebten, umgebracht worden ist und die Schiiten geißeln sich nun seit 1300 Jahren an diesem Jahrestag selbst, weil ihre Vorfahren ihm nicht zur Hilfe geeilt sind. Benjamin wollte sich diese Geißelungen unbedingt anschauen, aber ich hatte dazu keine besondere Lust. Mir hat schon gereicht, was ich von hier oben aus meinem Zimmer, vage in der Moschee schräg gegenüber erkennen konnte.
Den Abend zuvor hatten sie sich gemeinsam im Takt nur auf die Brust geschlagen, aber am eigentlichen Feiertag sollte es dann mit Peitschen, die ausgewählte Männer (sie waren ganz in grün gekleidet) sich selbst über die Schulter auf den Rücken schlagen, richtig zur Sache gehen. Benjamin und ich sind ein bisschen durch die Straßen gelaufen, auf denen immer wieder Schiiten in langen Konvois fuhren oder als eine Art Prozession durch die Straßen liefen. Ganz in schwarz war auch an einigen Stellen eine Art Zelt aufgebaut, wo sie sich dann trafen. Aus Solidarität hatte übrigens die ganze Stadt frei.
Meine Lehrlinge fragten mich diese Woche, ob ich auch von der Gottesoffenbarung in Deutschland wüsste. Es sei schon etwa zehn Jahre her, aber es stand wohl in den Zeitungen und für sie war es eine ganz wichtige Sache. In irgendeinem deutschen Park hätten sich die Blätter alleine zu den Worten: Allah ist groß‘ geformt. Sie hätten Bilder davon gesehen und es würde ganz sicher stimmen. Auch wären einige Deutsche daraufhin zum Islam übergetreten.
Ich sagte ihnen, dass diese Geschichte nur Propaganda ist (was sie vehement bestritten). Fundamentalistische Christen würden bei Bedarf ähnliche Geschichten auch über islamische Länder erzählen. Ich würde keine davon glauben und ich fände viel wichtiger als solche Geschichten, dass es eben ein und derselbe Gott sei, an den Christen und Moslems glauben. Ich kann ihren großen Hunger nach allem und jedem ja meistens gut nachvollziehen und bin immer ganz gerührt, wenn irgendjemand trotz aller Armut die Kraft aufbringt, irgendein Geschenk abzulehnen. Manchmal aber ärgert es mich, dass sie so grenzenlos fordern können und oft gerade dann unzufrieden werden, wenn sie etwas bekommen.
Ich habe ihnen deshalb diese Woche das Märchen von dem Fischer und seiner Frau erzählt. Bei mir hieß es aus Gründen der besseren Identifikation: Die Fischerin und ihr Mann‘ und es war ihr Mann, der grenzenlos forderte. Ein paar waren durch die ständigen Wiederholungen etwas abgenervt, aber die meisten sind begeistert mitgegangen. Als aber der Fischer der 1. Iman sein wollte, waren alle so gebannt von dieser Ungeheuerlichkeit, das es mucksmäuschenstill wurde. Ich entschloss mich deshalb, es dabei zu belassen, und zu verschweigen, dass dem Fischer dieser Wunsch gewährt wurde und er danach Gott selbst sein wollte.
Hermidula, einer meiner Lehrlinge, der gerne kämpft und fordert, meinte dann auch: Der Fischer sei wie die Amerikaner. Ich lachte, antwortete dann aber, dass ich diese Geschichte für mich selbst als wichtig empfinden würde: Es sei gut, Wünsche zu haben, aber es sei mir auch wichtig zu wissen, was ich wirklich brauche und wünschen kann und was nicht.
22.März