Im folgenden Beitrag möchte ich der Frage, was die „globalisierungskritische Bewegung“ in Australien ausmacht, anhand von drei Spannungsverhältnissen nachgehen: Dem externen, dem internen und dem intra-individuellen. Hierzu definiere ich die von der Bewegung anvisierten Gegner wie zum Beispiel die WTO, der WEF sowie der IMF. Demfolgend analysiere die unterschiedlichen ideologischen Anschauungen und Organisationsformen innerhalb des Spektrums der Aktiven, die sich vorwiegend als politisch links einordnen lassen.
Definitionen und Gegner
Das erste spannungsgeladene Verhältnis ist das externe: Auf der einen Seite die Bewegung, auf der anderen Seite der Gegner, bzw. die Institutionen wie die WTO, deren World Economic Fora (WEFs), der International Monetary Fund (IMF), das internationale Hochfinanzwesen und die nationalen politischen Institutionen und Entscheidungsträger die erstere unterstützen. Die Arbeit all dieser ist kritisch zu beleuchten und die negativen Auswirkungen ihrer Entscheidungen einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Das könnte erst mal als Minimalkonsens angenommen werden. Dabei passen die Antiglobalisierungsaktivitäten in Australien als ganze in die Schablone anderer sozialer Bewegungen, deren gebräuchliche Definitionen sich relativ ähnlich sind, wie etwa die folgenden von dem indischen Soziologen Zirakzadeh:
[quote]Contemporary social movements comprise a group of people who consciously attempt to build a radically new social order; involve people of a broad range of social backgrounds; provide an outlet for political oppression by the non-powerful, non-wealthy and non-famous; and deploy confrontational and socially disruptive tactics, involving a style of politics that supplements or replaces conventional political activities like lobbying or working for a political party. (Zirakzadeh, 1997, S. 4f. Zitiert nach Burgmann, 2003, S. 3) [/quote]
Das Zitat beschreibt nicht nur die Bewegung, sondern definiert in der Umkehrung noch einmal, mit wem sie im Konflikt steht: mit den Mächtigen, Reichen, Berühmten, unkritische Parteipolitikern und Lobbyisten. Eine ähnliche Definition stammt von dem amerikanischen Kulturwissenschaftler Diani:
[quote] There are at least four aspects of social movement dynamics: (a) networks of informal interactions; (b) shared beliefs and solidarity; (c) collective action on conflictual issues; (d) action which displays largely outside the institutional sphere and the routine procedures of social life. (Diani, Mario. „The concept of social movements“. In: Kate Nash, 2000, S. 160) [/quote]
Diese vier Aspekte wurden zum Beispiel im Vorlauf zu S11 demonstriert. Normalerweise operieren die verschiedenen Gruppen in Melbourne relativ unabhängig voneinander, zum Teil weil sie in starker Konkurrenz um eine relativ kleine Mitgliederbasis miteinander stehen. Nachdem sich jedoch Anfang 2000 abzeichnete, dass sich im September eine Gelegenheit ergeben würde, gemeinsam gegen die Vertreter der globalen Kapitals vorzugehen, begannen sich diejenigen, zwischen denen philosophisch-politische Anknüpfungspunkte bestanden, für die Vorbereitungen einer Massenaktion zusammen zu tun (b). Zwei Allianzen bereiteten auf wöchentlichen Treffen unabhängig voneinander Aktion vor (a) – zunächst noch getrennt nach dem Grad der Militanz. Nach zähen Verhandlungen einigte man sich schließlich doch, gemeinsam eine Blockade zu versuchen und diese mit anderen Methoden des Protestes zu ergänzen (c,d).
Verity Burgmann fasst es noch einmal zusammen wenn sie schreibt:
[quote] The basis of a social movement lies in the acknowledgement of a common interest among a specific group of people against another, equally defined group of people. Social movements are thus 'imagined communities' of the oppressed, disadvantaged or threatened. (Burgmann, 2003, S. 4) [/quote]
Nach diesen drei Definitionen sind die australischen Globalisierungskritiker eine klassische soziale Bewegung mit klar definierten Gegnern.
In Einigkeit gespalten
Die S11 Allianz, eine der beiden Vorbereitungskreise, schrieb auf einem ihrer Flugblätter:
[quote] We are concerned about the anti-people processes of globalisation. So, for us S11 is an opportunity to demand global justice, to join with everyone in protesting the system, not just the symptoms of globalisation. (Flugblatt der S11 Allianz 2000) [/quote]
Das scheint im Wesentlichen der Grundkonsens der Teilnehmenden gewesen zu sein. Weltweite Gerechtigkeit und der Wille, etwas an dem System zu ändern, das vielen für ihr Leben nachteilige Effekte zu produzieren scheint. Das Problem besteht und bestand dann darin, klare Forderungen und Vorstellungen, wie diese Veränderungen auszusehen hätten, zu formulieren. Wie schon der Name sagt, sind S11 und die weiteren Großproteste von einer Allianz von Gruppen organisiert worden. Und wie bereits anklang, würden sich diese wohl so gut wie alle (mit Ausnahme einiger der christlichen Verbände) als politisch links gerichtet sehen. Innerhalb dieser groben Kategorie sind die Unterschiede in Ideologie und Organisationsform aber enorm.
Die Gewerkschaften können die größte Anzahl disziplinierter Mitglieder mobilisieren. Allerdings sind ihre Führungen relativ zurückhaltend, diese auch einzusetzen – zum Teil gerade wegen der etablierten und eingefahrenen Strukturen, zum Teil wegen dem besonderen Augenmerk der Regierung, dem sie unterliegen. Die christlichen Gruppen konnten die zweitgrößte Anzahl Teilnehmer aufbringen, die allerdings von ihrer Ideologie her nicht auf militante Aktionen aus sind. Ihnen diametral gegenüber steht die sog. harte Linke: Marxisten, die relativ wenige Leute aufbringen können, dafür aber umso militanter agieren wollen. Zudem sind sie wiederum gespalten anhand verschiedener Ideologielinien in fünf verschiedene eigenständige Organisationen: International Socialist Organisation (ISO, Trotzkisten), Socialist Alliance (Trotzkisten, Abspaltung von der ISO 1998), Democratic Socialist Party (DSP, Stalinisten), Resistance (Splittergruppe ehemaliger Angehöriger der ersten drei) und Socialist Alliance (Wahlbündnis unabhängiger Marxisten). Die Abordnungen der jeweiligen Universitäten hatten zwar mittelgroße Kontingente, aber einen so geringen internen Organisationsgrad, dass man wohl besser von unabhängigen Aktivisten sprechen sollte. Relativ großes Gewicht hatten die relativ wenigen Aktivisten der Ökologiegruppe Friends of the Earth, die Kontakte in alle Lager hinein halten konnte und deshalb viel Vermittlungsarbeit leistete (Interview 1.11, Cam '6).
Dementsprechend weit gefächert sind auch die Vorschläge, wie Veränderungen es globalen Wirtschaftssystems auszusehen hätten. Sie reichen von der gewalttätigen Zerschlagung und der Errichtung kommunistischer oder anarchistischer Strukturen, bis hin zu dem Ruf nach eher klassisch sozial-demokratischen Reformen im Sinne einer mitfühlenden Marktwirtschaft. Diese Diversität hat sich bei S11 aber tendenziell als Stärke erwiesen, nachdem die ersten Vertrauenskrisen überwunden waren und ein Grundkonsens über den Ablauf gefunden war. Einer der Vorteile ist, dass es für jeden nicht-organisierten Teilnehmer möglich war, sich seiner bevorzugten Protestform anzuschließen. Das hat anscheinend die Hemmschwelle für sonst nicht politisch Aktive herabgesetzt und ist mit für die überraschend hohe Teilnehmerzahl verantwortlich.
Es ist also die Spannung innerhalb der Bewegung selber, die sowohl Schwierigkeiten als auch Möglichkeiten produziert. Der interne Markt der Möglichkeiten ist zu einem Sinnbild und einer prominenten Eigenschaft der globalisierungskritischen Bewegung geworden, die es aber auch schwer macht, sie genau und im Detail zu fassen. Gerade weil ihre Gegner augenscheinlich so kompakt aufgestellt sind.
Diese mangelnde Geschlossenheit wird vor allem von außen, aber auch von den Aktivisten selber immer wieder als Manko empfunden. Allerdings lässt es sich auch als kreatives Potential positiv beurteilen. Kevin McDonald zum Beispiel sieht im Zusammenspiel der drei Spannungsverhältnisse, die sich auch in der globalisierungskritischen Bewegung vereinen, potentiell einen Gewinn für die Demokratie.
[quote]These movements underline and amplify core tensions within our social world. Despite their day-to-day confusion, these movements are attempting to represent our world and culture, and to articulate the core dilemmas with which we are faced. They may be our best chance for democracy as we move into the next century. (McDonald, Kevin. „Social Movements“. In: Kellehear, Allan, 1996, S. 252) [/quote]
Zwar führen die internen Konflikte zu abträglichen Effekten, sie sorgen aber auch für neue Zugangsmöglichkeiten. Der externe Konflikt weißt auf die Spannungen hin, die unsere Welt ausmachen. Der individuelle dagegen auf die, welche sich aus den Widersprüchen unserer Kultur ergeben.